„Eines der dunkelsten Kapitel der Kölner Stadtgeschichte“
„Der Einsturz des Stadtarchivs war eines der dunkelsten Kapitel der Kölner Stadtgeschichte“, betonte heute Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters. Zwei junge Menschen verloren bei dem Unglück am 3. März 2009 ihr Leben. In ihrem Gedenken will Roters am Vorabend des Einsturzes an der Unglücksstelle am Waidmarkt einen Kranz niederlegen. Heute, zwei Jahre nach dem Einsturz, zog Roters eine erste vorsichtige Bilanz. „Wir haben die Folgen der Katastrophe so gut wie eben möglich bewältigt“, erklärte Roters. Bis auf wenige Ausnahmen seien etwa die Anwohner der ebenfalls vom Einsturz betroffenen Häuser in ihren neuen Leben angekommen. 36 Menschen verloren damals ihre Wohnungen. So hätten 213 von 243 Menschen inzwischen eine Entschädigungssumme von Stadt und KVB erhalten. Insgesamt hat die KVB bislang 5,1 Millionen Euro Entschädigungsgeld bezahlt. Mit den anderen Betroffenen würde derzeit vor einem Kölner Gericht verhandelt. Doch auch darüber hinaus habe das Unglück in Köln zu einem Wandel geführt. „Der Einsturz hat im Bewusstsein der Kölner einiges verändert“, so Kölns Oberbürgermeister. So sei seitdem ein regelrechter Ruck durch die Bevölkerung gegangen. Die Bürger würden sich nun vielmehr als zuvor für ihre Stadt einsetzen und in die Politik einmischen. „Das ist durchaus positiv“, betonte Roters.


Archivfoto: Die Einsturzstelle im März 2009


Eine Milliarde Euro Gesamtschaden
Der Gesamtschaden belaufe sich für die Stadt auf knapp eine Milliarde Euro, erläuterte Kölns Stadtdirektor Guido Kahlen. Rund die Hälfte des Geldes wird dabei für die Restaurierung und Zusammenführung der geborgenen Archivalien sowie für den Neubau des Archivs am Eifelwall veranschlagt. Weitere rund 500 Millionen Euro kosteten die Verzögerungen für den Bau der Nord-Süd-Stadtbahn, die zu erstellenden Gutachten sowie für die Ursachenforschung und Entschädigungen. Unklar sei es dabei, ob die Stadt auf diesen Kosten sitzen bleiben wird. „Wir wollen den Schaden bei dem Verursacher geltend machen“, betonte Kahlen. Allerdings muss dazu zunächst einmal ein Verursacher festgestellt werden. Derzeit sei es wahrscheinlich, dass der Einsturz in einem Zusammenhang mit dem Bau der U-Bahn stünde. Sollten sich die Hinweise verdichten, könnte jedoch nicht die ARGE Süd selbst haftbar gemacht werden, sondern nur einzelne Unternehmen, so Kahlen.

Bis dahin werden jedoch sicherlich noch einige Jahrzehnte vergehen. Zunächst soll nun bis zum Sommer die Bergung der Archivalien am Unglücksort beendet werden. Bislang konnten nach Schätzungen von Bettina Schmidt-Czaia, Direktorin des Stadtarchivs, bereits 90 Prozent der Archivalien geborgen werden. „Geborgen heißt jedoch nicht gerettet“, betonte Schmidt-Czaia. So wiesen etwa 35 Prozent der Archivalien schwerste Beeinträchtigungen auf, 50 Prozent seien schwer bis mittel beschädigt und 15 Prozent seien lediglich leicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Fünf Prozent der Archivalien seien voraussichtlich für immer zerstört worden. Um welche Archivalien es sich dabei handelte, sei derzeit noch völlig unklar. „Wir wissen noch gar nicht, was wir alles retten konnten. Das wird frühestens in vier bis fünf Jahren feststehen“, so Schmidt-Czaia. Insgesamt rechnet sie mit Kosten von mindestens 350 bis 400 Millionen Euro für die Restaurierung und Zusammenführung der Dokumente. Allein die Bergung werde etwa 13,7 Millionen Euro kosten. „Diesen Aufwand können, wollen und müssen wir leisten“, betonte Kölns Oberbürgermeister.


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Jörn Schwarze, neuer Technische Vorstand der KVB (r.) und Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters heute bei der Bilanz nach zwei Jahren Einsturz des Stadtarchivs


Ursachen-Untersuchung beginnt frühestens im Sommer 2012
Im Sommer 2011 soll nach Abschluss der Bergungen dann mit dem Bau eines so genannten Besichtigungsbauerwerks begonnen werden. Und zwar an der Schlitzwand, an der ein Defekt vermutet wird. Dazu sollen Bohrpfähle rund 45 Meter tief in den Boden gesenkt werden. Der dadurch entstehende Schacht soll anschließend bis auf 33 Meter ausgepumpt werden, um die Schlitzwand untersuchen zu können. Weiter wolle man nicht bohren, um die dort vorhandene Braunkohleschicht nicht zu verletzten, erklärte heute Jörn Schwarze, der neue Technische Vorstand der KVB. An der Braunkohleschicht lasse sich vielleicht erkennen, ob der U-Bahnbau den Einsturz verursacht habe. Derzeit gehen einige Hypothesen davon aus, dass unterhalb der Schlitzwand die Erdschicht verrutscht sei und das Bauwerk dadurch instabil wurde. Sollte nun die Braunkohleschicht in diesem Bereich nicht beschädigt sein, sei es wahrscheinlich, dass sie nicht unterhalb der Schlitzwand entlanggelaufen sei. Das Besichtigungsbauwerk soll frühestens im Sommer 2012 fertig gestellt werden, so Schwarze heute. Danach müssten Staatsanwaltschaft und Gutachter der Gerichte entscheiden, ob weitere Untersuchungen zur Feststellung der Ursache nötig seien.

„Ich verstehe die Ungeduld der Kölner und den daraus entstehenden Unmut“, betonte heute Jürgen Fenske, Vorstandssprecher der KVB. Die Verzögerungen bei der Untersuchung der Ursache sowie bei der Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn seien jedoch auch fremdbestimmt. Die neue U-Bahn wird in ihrer kompletten Strecke nach derzeitigen Schätzungen wohl erst 2017 oder 2018 in Betrieb gehen können – „vielleicht aber auch erst später“, so Fenske. Bis dahin soll die nördliche Teilstrecke bereits in diesem und im kommenden Jahr in Betrieb genommen werden. Derzeit prüft die KVB außerdem in einer Machbarkeitsstudie, ob die südliche Teilstrecke der Bahn im Jahr 2014 in Betrieb genommen werden könnte. Eine Entscheidung dazu soll zusammen mit dem Kölner Stadtrat im Sommer gefällt werden.

Friedrich-Wilhelm-Gymnasium kann erst 2012 zurück
Von dem Einsturz waren maßgeblich auch drei Kölner Schulen betroffen. Nach dem Unglück waren zunächst etwa 2.000 Kinder ohne Schulgebäude. Doch nicht einmal eine Woche nach dem Einsturz hätte der Unterricht wieder aufgenommen werden können, erklärte heute Kölns Bildungsdezernentin Agnes Klein. Die Schüler der Schule für Sehbehinderung des Lansschaftsverbandes Rheinland und de Kaiserin-Augusta-Schule konnten sogar noch vor den Osterferien 2009 wieder in ihr altes Gebäude zurückkehren. Inzwischen hat die Kaiserin-Augusta-Schule sogar den Ganztagsbetrieb aufgenommen. Noch in diesem Jahr will Klein einen Wettbewerb für einen geplanten Erweiterungsbau für die Schule ausführen. Allein die Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnsasiums würden auch heute noch in dem Gebäude der Volkshochschule am Neumarkt unterrichtet. Sie werden voraussichtlich erst Anfang 2012 oder spätestens im Juni 2012 in ihr Gebäude zurückziehen. Die Sanierung der Schule erwies sich als schwieriger als zunächst gedacht“, erklärte Klein heute die Verzögerung. Denn das denkmalgeschützte Gebäude musste einer aufwendigen Statikprüfung unterzogen werden. Zudem wurde bei der Sanierung eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, die entschärft werden musste.

Stadt will 2011 mit Planungen für Neubau beginnen
Zugleich will die Stadt Köln in diesem Jahr den Wettbewerb für den Neubau des Stadtarchivs am Eifelwall beginnen. Dazu wurden aus 200 Bewerbungen 45 Wettbewerbsteilnehmer ausgesucht. Am 17. und 18. Juni 2011 soll eine Jury die Ideen bewerten. Insgesamt will die Stadt Köln für das neue Gebäude rund 85 Millionen Euro investieren. Neben dem neuen Archiv soll der Komplex außerdem Räume für die Kunst- und Museumsbibliothek und das Rheinische Bildarchiv bereitstellen. Unterstützt wird der Wiederaufbau von einem 16-köpfigen Fachgremium. Und auch über die Zukunft des Geländes am Waidmarkt will die Stadt noch in diesem Jahr entscheiden. Bis zu den Sommerferien soll zusammen mit interessierten Kölner Bürgern eine Planung angefertigt werden. Schon jetzt steht dabei fest, dass auf dem Gelände ein Gedenkort für das Archiv entstehen soll. Zudem sollen die Kaiserin-Augusta-Schule und das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium dort Erweiterungsbauten erhalten.

Cornelia Schlößer für report-k.de/ Kölns Internetzeitung