Hendrik Wüst und Friedrich Merz am 16.06.2023. | Foto: via dts Nachrichtenagentur

Düsseldorf | Artikel ergänzt | NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will nicht Kanzlerkandidat der Union werden und unterstützt eine Kandidatur von CDU-Chef Friedrich Merz. Wüst erklärte dies bei einer Sitzung des CDU-Landesvorstands in Düsseldorf und gab anschließend eine persönliche Erklärung ab, die sie hier im Wortlaut finden.

Demnach hob Wüst hervor, es brauche Geschlossenheit, er sei aber immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Nur eine einige Union könne die Bundesregierung ablösen. Unter den aktuellen Umstände stehe er für die Bundestagswahl 2025 nicht zur Verfügung. Wüst appellierte demnach, Friedrich Merz zu unterstützen.

Lob aus CDU nach Wüsts Verzicht in K-Frage

Der frisch gewählte Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke, hat die Entscheidung von Hendrik Wüst begrüßt, sich aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur zurückzuziehen. „Ein wichtiges Signal von Hendrik Wüst. Nur mit Geschlossenheit und gutem Teamgeist werden Wahlen gewonnen“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Radtke gilt als Vertrauter des NRW-Ministerpräsidenten. Der CDA-Bundesvorsitzende sagte weiter: „Wenn wir in dem Geist die nächsten zwölf Monate weitermachen, kann Herr Scholz schon mal anfangen zu packen.“

Auch CDU-Fraktionsvize Jens Spahn begrüßte Wüsts Entscheidung, nicht als Kanzlerkandidat der CDU antreten zu wollen. „Hendrik Wüsts Entscheidung ist ein wichtiger Grundstein für die Geschlossenheit der Union und damit für den Wahlsieg 2025“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“.

Wüst hatte am Montag laut eines Berichts der „Rheinischen Post“ in einer Sitzung des CDU-Landesvorstands in Düsseldorf erklärt, er stehe unter den aktuellen Umständen für die Bundestagswahl 2025 nicht zur Verfügung. Wüst appellierte demnach zudem, Friedrich Merz zu unterstützen.


Die Erklärung von Hendrik Wüst im Wortlaut


Persönliche Erklärung von Ministerpräsident Hendrik Wüst MdL, Vorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen Düsseldorf:

Der Spätsommer 2024 ist eine doppelte Zäsur für unser Land. Der Terrorakt von Solingen muss ein Wendepunkt in der Migrations- und Sicherheitspolitik sein. Wir alle müssen bereit sein, gemeinsam an bKonsequenzen aus diesem Angriff auf unser aller
Freiheit zu arbeiten.

Die Wahlen in Thüringen und in Sachsen waren ein tiefer Einschnitt in der Geschichte der zweiten deutschen Demokratie. In Thüringen ist zum ersten Mal eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Landtag geworden. Das ist beunruhigend und beschämend zugleich. Es steht nicht gut um Deutschland im Spätsommer
2024.

Deutschland erlebt eine Krise, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in unsere Demokratie gefährdet. Es gibt Vieles, was in Deutschland nicht oder nicht mehr gut funktioniert. Nicht nur der Wirtschaftsstandort steht unter großem Druck. Auch sachliche Kritik an den staatlichen Institutionen ist berechtigt. In den letzten Jahren wurde offenbar, dass die Fundamente der drei zentralen Versprechen, auf denen der Erfolg der zweiten deutschen Demokratie beruht,
beschädigt sind.

Erstens das Sicherheitsversprechen, nach innen wie nach außen, Zweitens das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft, Drittens das Versprechen vom Aufstieg durch Bildung. In den Augen vieler Menschen haben diese zentralen Versprechen an Gültigkeit verloren. Wir müssen diese Fundamente wieder instand setzen, um unsere Demokratie zu sichern. Wir brauchen einen Geist von Kooperation und gemeinsamen Zielen, um den Feinden unserer Demokratie Einhalt zu gebieten.

Aber leider ist es auch um unsere politische Kultur schlecht bestellt. Unsere gesellschaftlichen Debatten zeichnet eine Unversöhnlichkeit aus, die politische Gräben vertieft – anstatt sie zu überwinden. Der Austausch zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verstummt. Das ist keine gute Entwicklung. Es grenzt an Tragik, dass ausgerechnet in dieser Zeit historischer Herausforderungen in Deutschland die schlechteste Bundesregierung der Geschichte regiert. Die Enttäuschung über die Politik der Ampel hat sich zuletzt bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen manifestiert.

Der Rückhalt für die Bundesregierung ist dort nicht nur einfach zurückgegangen. Er hat sich förmlich aufgelöst. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wo es politischer Klarheit bedarf, werden Nebelkerzen gezündet. Wo ein gemeinsamer Wille nötig wäre, überzieht man sich in der Ampel gegenseitig mit Häme. Anstatt zu handeln wird nur gestritten. nDer erste Schritt auf dem Weg Deutschlands aus der Krise ist die Ablösung dieser Bundesregierung.

Dafür braucht es Christdemokratinnen und Christdemokraten, die Verantwortung übernehmen, und eine ebenso starke wie geschlossene Union. Ich war und bin immer bereit, mich der politischen Verantwortung zu stellen. Dabei bin ich an erster Stelle den Bürgerinnen und Bürgern von Nordrhein-Westfalen verpflichtet. nEs ist mir Pflicht und Ehre, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu sein. Dem Wohl der Menschen hier gilt mein ganzer Einsatz. Unsere Landesregierung hat nach dem Terror-Anschlag
von Solingen gezeigt, wie politische Handlungsfähigkeit aussieht.

Wie es aussieht, wenn Politik Verantwortung übernimmt und handelt. Wir haben in der letzten Woche ein Sicherheits- und Migrationspaket beschlossen, das sich durch Konsequenz und Besonnenheit auszeichnet. Wir stellen unter Beweis, dass man auch politische Lager übergreifend zu guten Lösungen kommen kann – wenn es den gemeinsamen Willen und Entschlossenheit dazu gibt.

Wir haben uns in Stil, Substanz und vor allem im Ergebnis klar unterschieden von dem Agieren in Berlin. Die beeindruckende bundesweit positive Resonanz auf unser Handeln bestärkt uns, unseren erfolgreichen Weg weiterzugehen. Ich setze darauf, dass unser Weg einer Allianz der Mitte weitere Mitstreiter findet – in anderen Ländern, und hoffentlich endlich auch im Bund. Die Resultate unseres Wegs hier in Nordrhein-Westfalen zeigen sich auch in anderen Bereichen. Keine Landesregierung vor uns hat der Betreuung und Bildung unserer Kinder einen so klaren politischen Vorrang eingeräumt wie wir.

Ich werde es immer als meine politische Lebensaufgabe betrachten, dafür zu sorgen, dass alle Kinder eine verlässliche, fördernde Betreuung und eine gute Bildung erfahren. Bitte erlauben Sie mir auch einige persönliche Gedanken offen zu teilen. Natürlich habe ich in den vergangenen Monaten wahrgenommen, dass Menschen sich wünschen, dass ich persönlich auch über Nordrhein-Westfalen hinaus Verantwortung übernehme. Dass es viele Menschen gibt, die sich wünschen, dass ich nicht nur über die Ministerpräsidentenkonferenz oder den Bundesrat Einfluss auf die Bundespolitik nehme.

Es lässt mich nicht unberührt, wenn viele Mitstreiter und Mitglieder aus verschiedenen Landesverbänden unserer Partei mich ermutigen, noch stärker in der Bundespolitik mit zu gestalten. Es lässt einen auch nicht unbeeindruckt, wenn Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft auf einen zugehen und sagen: meine Unterstützung haben sie – übrigens oft junge Menschen. Und es freut mich natürlich sehr, wenn Umfragen eine hohe Zustimmung zu meiner Person und meinem Politikstil ausweisen – nicht nur unter CDU-Mitgliedern, sondern auch in der breiten Bevölkerung.

Natürlich gilt: Ein Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist immer ein möglicher Kanzlerkandidat. Wer das große Land Nordrhein-Westfalen regiert, muss auch bereit sein, für unsere ganze Nation Verantwortung zu übernehmen. Das gilt auch für mich.
Anders gesagt: Man sollte niemals „nie, nie“ sagen. Diesen ganzen Zuspruch empfinde ich als etwas sehr, sehr Ermutigendes.

Denn ich werte ihn als Zustimmung zur Arbeit unserer Landesregierung, der Koalition mit der starken CDU-Fraktion und natürlich auch als Wertschätzung meiner Arbeit als Ministerpräsident und Landesvorsitzender. Dieses Zutrauen in meine Person hat mich auch dazu veranlasst, in mich zu gehen und die Dinge abzuwägen. Abzuwägen zwischen meiner Verantwortung für die CDU, meiner Verantwortung für Nordrhein-Westfalen – aber auch meiner Verantwortung für Deutschland. In dieser Abwägung war für mich eine Frage letztlich entscheidend: Wie kann ich am besten dazu beitragen, dass diese Bundesregierung, die hauptverantwortlich ist für die derzeit katastrophale politische Lage, von einer handlungsfähigen Regierung abgelöst wird, die Deutschland zu neuer Stärke führt.

Dabei habe ich mich auch an das Jahr 2021 erinnert. Ich stimme mit Friedrich Merz und Markus Söder darin überein, dass sich so etwas in der Union niemals wiederholen darf. Darüber waren und sind wir uns auch im Landesvorstand einig. Die Lehre aus 2021 ist, dass es für den gemeinsamen Wahlerfolg eine Grundvoraussetzung gibt: die Geschlossenheit der CDU und der Union insgesamt. Wir haben uns heute im Landesvorstand daran erinnert, wie es damals war als ich zunächst die Führung der CDU übernommen habe und zum ersten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Wir lagen in den Umfragen 13 Prozentpunkte hinter der SPD, bei der Wahl ein gutes halbes Jahr später haben wir einen großartigen Sieg eingefahren – 9 Prozentpunkte vor der SPD. Ein entscheidender Grund für diesen Erfolg war die Geschlossenheit der CDU in Nordrhein-Westfalen. Nur einer starken und einigen Union im Bund wird auch die Ablösung der Ampel-Regierung gelingen. Als Vorsitzender des größten Landesverbandes der CDU ist es meine Pflicht, diese Geschlossenheit zu fördern und zu sichern. Deswegen habe ich heute dem Landesvorstand der CDU Nordrhein-Westfalen mitgeteilt, dass ich aktuell und unter den gegebenen Umständen für die Kanzlerkandidatur der Union bei der Bundestagswahl 2025 nicht zur Verfügung stehe.

Meine Aufgaben liegen in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig habe ich den Landesvorstand darum gebeten, unseren Bundesvorsitzenden Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten zu unterstützen. Dafür gab es großen Zuspruch. Ein klares Signal für die Geschlossenheit der deutschen Christdemokratie geht heute aus von der CDU Nordrhein-Westfalen. Friedrich Merz ist für die Christdemokraten in Nordrhein-
Westfalen nicht nur unser Bundesvorsitzender. Friedrich Merz ist einer von uns, tief verwurzelt im Sauerland. Friedrich Merz hat politische Verantwortung übernommen. Er war bereit, in einer für die deutsche Christdemokratie sehr schwierigen Zeit die Führung und damit das Ruder zu übernehmen. Er hat unsere Partei wieder geeint und in ruhiges Fahrwasser gebracht.

Er hat nicht nur die Parteiorganisation neu aufgebaut, sondern auch unsere Bundestagsfraktion oppositionsfähig gemacht. Es ist Friedrich Merz zu verdanken, dass das Verhältnis zwischen CDU und CSU heute so gut ist wie lange nicht mehr. Mit dem neuen Grundsatzprogramm hat er einen Prozess christdemokratischer Selbstvergewisserung angestoßen und vollendet, der uns heute das programmatische Rüstzeug für eine Regierungsübernahme gibt. Friedrich Merz kann sich auf die Unterstützung seines Heimatverbandes verlassen. Persönlich danke ich Friedrich Merz für den sehr vertrauensvollen Austausch in den vergangenen Wochen und Monaten. In unseren Gesprächen über die richtige Aufstellung der CDU habe ich immer großes gegenseitiges Verständnis gespürt.

Wir sind uns einig, dass für den gemeinsamen Erfolg der Union persönliche Interessen keine Rolle spielen dürfen. Das ist für uns handlungsleitend und wird es auch bleiben. In meinen Gesprächen mit Friedrich Merz und Markus Söder in den letzten Monaten gab es das gemeinsame Verständnis, dass sich die Unionsschwestern bei der Aufstellung für die Bundestagswahl auf Augenhöhe begegnen müssen. Wir sind uns in der Union einig, dass der CSU bei gemeinsamen Entscheidungen eine besondere Rolle zukommt.

Die Klärung der Kandidatenfrage gehört natürlich dazu. Wir sind uns immer einig gewesen und sind es weiter, dass es in der CDU Konsens braucht und schließlich eine Verständigung auf Augenhöhe mit der CSU. Friedrich Merz und Markus Söder werden das wie vereinbart angehen. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch die CSU Friedrich Merz als gemeinsamen und starken Kandidaten unterstützt. Ich bin mir sicher, dass diese Geschlossenheit zwischen den Unionsschwestern unsere gemeinsamen Wahlchancen enorm erhöhen würde. Die Politik der Ampel und auch deren Umfrage-Werte sind desaströs.

Angesichts des Niedergangs der Ampel-Parteien muss es der Union bundesweit gelingen, noch mehr Menschen zu erreichen. Ich bin ganz bei Friedrich Merz, wenn er von einem Potenzial der Union von 35 Prozent und mehr spricht. Dabei geht es auch darum, politischen Führungs- und Gestaltungsanspruch zu erfüllen und der Stabilitätsanker der deutschen Parteienlandschaft zu bleiben. Nur eine starke Union kann das Land wieder zur neuen Stärke zurückführen. Dafür braucht es nicht nur die richtige personelle, sondern auch eine überzeugende programmatische Aufstellung der CDU. Darüber habe ich mich mit Friedrich Merz intensiv in unseren Gesprächen ausgetauscht.

Es ist unsere gemeinsame Überzeugung, dass die CDU als Volkspartei breit aufgestellt sein muss. Für mich ist klar: Unser Herz schlägt in der Mitte. Auf dem Weg in die Regierungsverantwortung sollten wir uns auch an dem orientieren, was Helmut Kohl und Angela Merkel einst vorgemacht haben. Sie sicherten durch eine Politik von Modernität und Ausgleich über Jahrzehnte hinweg unsere Mehrheitsfähigkeit.

Bleiben wir bei unserem Erfolgsgeheimnis: die Kernkompetenzen stärken, unseren Grundwerten treu bleiben, uns dabei dem Wandel nicht verschließen. Unser Ziel ist, dass die CDU als große Volkspartei der Mitte das Bollwerk gegen den sich ausbreitenden Extremismus ist. Dafür müssen wir auch unseren Charakter als solidarischer Partei für die Arbeiterschaft neu beleben. Dass in Thüringen fast 50 Prozent der Arbeiter die Rechtsextremisten gewählt haben, ist uns Mahnung und Auftrag zugleich. Wir müssen auch das soziale Gewissen im Parteiengefüge der Bundesrepublik sein. Bei der nächsten Bundestagswahl stellen wir die Weichen für die Zukunft Deutschlands. Es steht viel auf dem Spiel. Diese Wahl wird wichtiger sein als viele Wahlen in der Vergangenheit.

Die gescheiterte Politik der Ampel muss beendet werden. Deutschland ist ein starkes Land! Wir haben die Kraft, die Versprechen unseres Landes zu erneuern: Die Sicherheit in Freiheit unseres Zusammenlebens nach innen und außen zu schützen, Wohlstand für alle durch die Soziale Marktwirtschaft zu schaffen, und Aufstieg durch Bildung für alle Kinder zu ermöglichen.

So schaffen wir neues Vertrauen in die politische Mitte, damit Extremisten nur noch eine Randerscheinung sind. Wir haben alle Chancen, die CDU, die gesamte Union zur alten Stärke zurückzuführen. Deutschland brauch einen Neustart. Wir sind bereit.


Mit Material von dts nachrichtenagentur. Die Rede von Hendrik Wüst lag die schriftliche Fassung vor, die hier wiedergegeben ist.