Diese "dunklen Seiten" seien bei dem Seligsprechungsprozess "ganz und gar unberücksichtigt geblieben". Küng, dem wegen Zweifel am Unfehlbarkeitsdogma 1979 die Lehrerlaubnis entzogen worden war, bezeichnete sich selbst als "ersten großen Inquisitionsfall dieses Papstes". Johannes Paul II. sei "intolerant und unwillig zum Dialog" gewesen. "Auch seine Behandlung der lateinamerikanischen Befreiungstheologen war das Gegenteil dessen, was man von einem christlichen Vorbild erwarten sollte", fügte er hinzu. Küng warf Johannes Paul II. zudem vor, jahrelang einen "notorischen Kinderschänder" geschützt zu haben, den Ordensgründer Marcial Maciel Degollado. Bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche habe der frühere Papst "komplett versagt": "Das ganze Ausmaß dieser scheußlichen Verbrechen wurde von ihm gemeinsam mit Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation systematisch vertuscht". Der Theologe äußerte scharfe Kritik am Vorgehen von Papst Benedikt XVI., der die Seligsprechung in Rekordzeit vorangetrieben hatte: "Der Nachfolger spricht den Vorgänger selig? Da geht es doch in Rom zu wie zu den Zeiten der Cäsaren, die den jeweils vorangegangenen Kaiser zum Gott erhoben." Wie "ein absolutistischer Fürst" habe Benedikt XVI. das eigene Kirchenrecht gebrochen, "um Johannes Paul im Hauruckverfahren selig sprechen zu können".

[dts]