Herbert Reul, CDU, NRW-Innenminister. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Köln | NRW-Innenminister Herbert Reul stellte wenige Tage nach Solingen in der aufgeheizten Debatte das Lagebild „Gewalt im öffentlichen Raum – Tatmittel Messer in Nordrhein-Westfalen 2019 bis 2023“ vor. Die Zahlen des Innenministers umfassen nur den öffentlichen Raum oder öffentliche Räume wie Gastronomie. Das private Umfeld wurde von der Behörde nicht erfasst.

0,25 Prozent aller Straftaten in NRW

Das Landeskriminalamt NRW stellte dem Innenministerium die Zahlen zur Verfügung. Ausgewertet wurden bei den Straftaten lediglich öffentlicher Raum, sogenannte Party-Hotspots und Gastronomie. In diesen Bereichen zählen die Beamten 3.500 Straftaten. Insgesamt gab es in NRW im Jahr 2023 nach der Polizeilichen Kriminalstatistik 1.412.807 Straftaten, von denen 54,2 Prozent aufgeklärt werden konnten. Damit machen diese Straftaten 0,25 Prozent der in NRW verübten Straftaten aus.

Diese 3.500 Straftaten seien 43 Prozent mehr als noch in 2022. Reul legt leider keine Zahlen vor, die sich auf das Jahr 2019 beziehen, also vor der Pandemie. 15 Menschen seien bei den Gewalttaten mit Messer in NRW im Jahr 2023 verstorben.

Zu den Tätern schreibt Reuls Behörde, dass diese zur Hälfte unter 21 Jahren alt sei. 55 Prozent der Täter haben einen deutschen Pass.

Innenminister Herbert Reul lässt sich zu der Thematik schriftlich zitieren: „Erst der Mensch, der es in der Hand hat, macht aus dem Messer eine Waffe. Wir müssen mehr über Täter, Taten und Opfer erfahren, wenn wir diese schrecklichen Messerangriffe verhindern wollen. Die Auswertung sagt uns, dass Messergewalt jung und männlich ist. Mich sorgt, dass – gemessen am Ausländeranteil in der Bevölkerung – Tatverdächtige ohne deutsche Staatsangehörigkeit überproportional vertreten sind. Sich zu bewaffnen, hat sicher auch etwas mit Männlichkeitsgehabe zu tun. Mit dem Messer mag sich ein mancher stärker und unbesiegbarer in der dunklen Nacht fühlen. Dieses mittelalterliche Bild von Männlichkeit tut unserer Gesellschaft nicht gut.“

So will der Innenminister die Gewalt eindämmen

Die Kreispolizeibehörden und Polizeipräsidien sollen in eigenem Ermessen handeln, wie sie die Gewalt eindämmen. In den besonderen Fokus nimmt der Innenminister Flüchtlingsunterkünfte. Dort fordert er eine verstärkte Präventionsarbeit. Er fordert individuelle Waffentrageverbote und Waffenverbotszonen, wie sie etwa in Köln schon bestehen. Er will die mobile Videobeobachtung und strategische Fahndung ausweiten.

Innenminister Herbert Reul erneut schriftlich: „Jede Kreispolizeibehörde muss selbst schauen, was individuell vor Ort funktioniert. Deshalb soll auch vor Ort analysiert und geprüft werden, welche Maßnahmen am besten greifen. Das wollen wir hier aus Düsseldorf nicht vorgeben. Die eine richtige Lösung gegen Messergewalt gibt es nicht. Verschiedene Maßnahmen müssen ineinandergreifen.“

Die Behörde von Reul betont, dass dieses Konzept keine Reaktion auf den Terroranschlag von Solingen am 23. August 2024 sei.

Was das Lagebild offen lässt

Das Thema Gewalt mit Messern findet in den letzten Jahren vermehrt Eingang, nicht nur in den öffentlichen Diskurs, sondern auch in die mediale Berichterstattung. Das liegt zum einen am Narrativ rechter Populisten, aber auch die Kreispolizeibehörden forcieren das Thema massiv über ihre Polizeiberichte, die längst nicht mehr nur ihre Verbreitung über den institutionalisierten Journalismus finden, sondern über die eigenen Social Media Kanäle der Behörden mit hunderttausenden Followern. Es vergeht kein Tag, an dem nicht über eine Messertat berichtet wird, denn so sind Klicks und Reaktionen garantiert. Reul und seine Beamt:innen blicken mit Scheuklappen auf das Phänomen, anstatt das gesamte Bild zu zeichnen und auszuwerten.

Wäre es nicht an der Zeit darüber nachzudenken, was diese Berichterstattung mit dem Thema zu tun hat? Sich die Frage zu stellen, warum sind plötzlich so viele junge Menschen mit Messern auf den Straßen in NRW unterwegs? Warum bewaffnen die sich, obwohl diese Taten 0,25 Prozent aller Straftaten ausmachen? Weil sie glauben, dass sie sich womöglich verteidigen müssen und ihr mögliches Gegenüber ein Messer bei sich trägt? Und dann im Konfliktfall selbst zum Messer greifen, weil es eben dabei ist? Das soll die einzelne Tat nicht verharmlosen, sondern stellt die Frage differenzierter. Prävention ja, auch in Flüchtlingsheimen, aber Schulen und Elternhäuser sind hier ebenso gefragt.