Josef E. 28 Jahre alt und Hilfsarbeiter, wurde am 5. Mai 1939 in Köln zwangssterilisiert, dabei wollte er eigentlich nur heiraten. Doch seit dem 1. August 1936 mussten sämtliche Brautpaare vor Gesundheitsamt überprüft werden, ob ihr Erbgut als hochwertig eingestuft werden kann. Josef E. wurde also zu einer ärztlichen Untersuchung in das Kölner Gesundheitsamt bestellt. Dort diagnostizierte man bei ihm „angeborenen Schwachsinn“ – Kinder kamen damit nicht in Frage. Die Begründung der festgestellten „Krankheit“: Als Hilfsarbeiter hatte er lediglich eine Hilfsschule besucht und keinen Beruf erlernt – auch seine Geschwister waren wenig erfolgreich. Zudem bestand er die Intelligenzprüfung des Amtes nicht. Am 13. Oktober 1938 wurde daher beim Erbgesundheitsgericht ein Antrag auf Unfruchtbarmachung von Josef E. gestellt. Das Gericht, bestehend aus zwei Ärzten und einem Richter, stimmte dem Antrag zu. Einen Widerruf, in dem Josef E. darlegte, als Kriegskind nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, eine Schule zu besuchen, konnten die Beurteilung „angeborener Schwachsinn“ nicht verhindern. Das Gericht ordnete daher, das Unfruchtbarmachen von Josef E. an.

Recherche kam gerade noch rechtzeitig
Die Geschichte von Josef E. ist kein Einzelfall, erzählte heute Autorin Dr. Sonja Endres. Dreieinhalb Jahre forschte sie im Historischen Archiv der Stadt Köln zum Thema „Zwangssterilisation in Köln“. Dabei arbeitete sie insbesondere die Einzelfallakten des Erbgesundheitsgerichtes Köln durch, die fast lückenlos erhalten waren. Heute wären diese Untersuchungen nicht mehr möglich. Denn fast alle Akten zu diesem Thema gingen mit dem Einsturz des Archivs vor einem Jahr verloren. Einzelne Archivalien konnten zwar aus den Trümmern geborgen werden, doch in den nächsten Jahrzehnten werden sie nicht nutzbar sein. Das gilt insbesondere auch für die Akten der Gesundheitsverwaltung, die Personalakten der Ärzte oder der Dokumente der Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege.


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Autorin Dr. Sonja Endres mit ihrem Buch


Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
Endres’ Buch kam daher gerade rechtzeitig. Darin behandelt die Autorin unter anderem die Neuorganisation des Gesundheitswesens in Köln während des NS-Regimes. Ärzte sollten sich in dieser Zeit nicht vornehmlich um die Gesundheit der Deutschen kümmern, sondern sich vor allem der Eugenik widmen und eine genetisch reine Bevölkerung erschaffen. Im Fokus des Buches steht jedoch insbesondere die Durchführung der Zwangssterilisation – wie Menschen in Köln ausgewählt, erfasst, verhandelt und schließlich unfruchtbar gemacht wurden. Grundlage dafür war das am 14. Juli 1933 in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Anträge auf Unfruchtbarmachung stellten in Köln vor allem Stadt- oder Fürsorgeärzte und von Ärzten aus Heil- und Pflegeanstalten. Dabei wurde in 57 Prozent der Fälle die Diagnose auf „angeborenen Schwachsinn“ gestellt. Weitere so genannte Erbkrankheiten, für die man unfruchtbar gemacht werden konnte, waren „Schizophrenie“, „erbliche Fallsucht“, „erbliche Blindheit“ oder „manischdepressives Irresein“.

„ungebildet, asozial – zwangssterilisiert“
Auffällig ist dabei, dass vor allem Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen wie Fürsorgeempfänger, ungelernte Arbeiter oder Hilfsschüler Opfer der nationalsozialistischen „Erbgesundheitspolitik“ wurden. Die Formel lautete: „ungebildet, asozial – zwangssterilisiert“. Einmal in die Fänge des „erbbiologischen“ Erfassungssystems geraten, gab es kaum ein Entrinnen. Das Erbgesundheitsgericht Köln hat rund 80 Prozent aller Anträge auf Unfruchtbarmachung stattgegeben. Etwa 400.000 Menschen wurden in der NS-Zeit zwangssterilisiert, weil sie in den Augen der nationalsozialistischen Rassenhygieniker „minderwertig“ waren und daher dem Aufbau eines „gesunden und leistungsfähigen Volkskörpers“ im Wege standen. Rund 4.070 von ihnen waren Kölner.

11 Prozent und damit im bundesweiten Vergleich besonders viele der Anträge stammten dabei aus Strafanstalten. In Hamburg dagegen kamen lediglich zwei Prozent, in Passau 1,3 Prozent aller Anträge aus Strafanstalten. In Frankfurt am Main gab es überhaupt keine. Schuld daran dürfte der Kölner Gefängnisarzt Fran Kapp gewesen sein, der der Auffassung war, dass Kriminalität generell in „erblichen Defekten“ begründet war. In Einzelfällen wurden hier sogar Häftlinge ohne ihr Wissen zwangssterilisiert.

Zwangssterilisation auch nach 1945 noch verpönt
Neben der Zwangssterilisation während der NS-Zeit erlebten die Opfer auch nach 1945 weiterhin Demütigungen. Zwar wurde durch die Auflösung der Erbgesundheitsgerichte die Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ gestoppt, das Gesetz selbst wurde jedoch nicht aufgehoben. Noch 1946 sprachen sich die Mitglieder der Medizinischen Fakultät der Universität Köln mehrheitlich für die Fortführung der Zwangssterilisation aus. Nach Kriegsende wurden die Opfer darum nicht als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt. Ihre Anträge auf Entschädigung blieben lange erfolglos. Erst 1980 gewährte die Bundesregierung den Opfern eine Entschädigung von bis zu 5.000 DM. Und erst 1998 wurden die Urteile der Erbgesundheitsgerichte aufgehoben. Doch bis heute gelten die Geschädigten noch immer nicht offiziell als Verfolgte des NS-Regimes.

Kölner Krankenhäuser schweigen weiter
Auch in Köln wird bis heute kaum über dieses Thema gesprochen. Vorbildlich verhielt sich das Kölner Gesundheitsamt, erklärte Dr. Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentationszentrums. Dort richtete man 1989 eine Stelle ein, die Opfer dabei unterstützen sollte, Entschädigungen zu erlangen. Eine Gedenktafel im Gesundheitsamt weist außerdem auf die Zwangssterilisation hin. Bedeckt halten sich dagegen bis heute die drei Kölner Krankenhäuser, in denen die Sterilisationen durchgeführt worden sind: Die Frauenklinik und die Chirurgische Klinik der Uniklinik sowie das Evangelische Krankenhaus Köln-Weyertal. Sie alle hätten sich bislang geweigert, Einblick in ihre Akten zu geben oder auch nur mit einem Historiker zu sprechen, so Jung. Er und Autorin Endres hoffen nun darauf, dass das Buch sie eines andren Umgangs mit dem Thema lehrt.

Cornelia Schlößer für report-k.de/ Kölns Interntzeitung