Gehüllt in historische Frauenkleider schreitet eine bärtige Dame durch einen leeren Universitäts-Hörsaal. Stumm zeigt sie Bilder von sich und anderen Menschen, deren Geschlecht uneindeutig ist. Zugleich nimmt sie dabei die Rollen des zeigenden Wissenschaftlers und des zu zeigenden Objektes ein. Die gezeigten Fotos untersuchen kühl und wissenschaftlich das Phänomen des Zwitters, während sich die Drag-Performer_in Werner Hirsch im Frauenkleid vor der Leinwand räkelt. Plötzlich bricht sie in Lachen aus, verlässt die Rolle des Wissenschaftlers. Zu absurd ist der Moment, vielleicht auch zu persönlich und beängstigend. Denn Jahrhunderte lang stellte man Zwitter aus, studierte sie wie fremde Wesen und nahm sie nicht als Mensch an. So schwebt die Arbeit zwischen der Abscheu vor dem Gezeigt-werden und der Lust am Schauen und Angeschaut-werden.

Zwischen Funktion und Kunst
Die Installation von Pauline Boudry und Renate Lorenz ist eine von rund zehn gezeigten Werken der neuen Ausstellung „Lecture Performances“ im Kölnischen Kunstverein. Lecture Performances sind ein aktuelles Phänomen der zeitgenössischen Kunst. Die Künstler arbeiten dabei an der Schnittstelle von funktionalem Vortrag und künstlerischer Performances und vermischen auf kreative Weise die Inszenierung der eigenen Person vor dem Publikum mit Methoden der klassischen Kunstvermittlung. Die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein präsentiert dabei sowohl jüngste Installationen als auch die Wurzeln des Genres. So gilt etwa Robert Morris als einer der ersten Lecture Performer. Mit seiner Performance „21.3“, in der er seinen Vortrag von einem Band abspielen lässt und auf der Bühne nur die Lippen bewegt, legt er erstmals in einem Vortrag die Betonung auf die Inszenierung statt auf die Sprache. So wird der Vortrag zum einstudierten Tanz.

Die Ausstellung als Herausforderung
Die Präsentation der Arbeiten stellte den Kölnischen Kunstverein vor eine Herausforderung. Denn aktuelle Künstler entwickeln ihre Lecture Performances zwar heute oftmals als Installation, zumeist sind Lecutre Performances jedoch Live-Aufführungen. Zu sehen sind die Arbeiten daher im Ausstellungsraum vornehmlich auf großen Leinwänden oder Fernsehern. Getrennt werden die Arbeiten durch einige Stellwände, die den einzelnen Arbeiten eigene Räume verschaffen. Ansonsten wurde der Ausstellungsraum möglicht offen und leer gestalte, um die Aufmerksamkeit auf die Arbeiten selbst zu richten. Während bei manchen Werken der Ton laut in den Raum gespielt wird, sind viele Arbeiten über Kopfhörer zu hören. Dabei laden vor fast allen Arbeiten Stühle oder Bänke zum Zuschauen und Zuhören ein. Gleichzeitig versuchen sie so den ursprünglichen Charakter der direkten Ansprache des Performers an sein Publikum wiederherzustellen.

Auch wenn „nur“ zehn Arbeiten ausgestellt werden, sollten Besucher daher genügend Zeit mitbringen. Denn die gezeigten Performances dauern zwischen zehn Minuten und einer Stunde. Ergänzend zu der Ausstellung präsentiert der Kölnische Kunstverein ein großes Begleitprogramm mit zahlreichen Live-Performances, Music Lectures und Literatur-Perfomances. Eine Übersicht über das komplette Programm ist auf der Internetseite des Kölnischen Kunstvereins einsehbar.


Foto: Die Jahersgaben 2008 zeigt der Kölnische Kunstverein in seinen Archiv-Räumen


Jahresgaben 2008
Zeitgleich mit „Lecture Performance“ eröffnet der Kölnische Kunstverein heute Abend eine weitere Ausstellung: „Die Jahresgaben 2008“. Seit der Gründung des Kölnischen Kunstvereins vor 170 Jahren bilden die Jahresgaben einen wichtigen Bestandteil der Arbeit. Internationale Künstler bieten den Mitgliedern exklusiv Editionen und Unikate an, die eigens für den Kunstverein hergestellt werden. In diesem Jahr haben folgende Künstler eine Jahresgabe zur Verfügung gestellt: Enrico David, Tacita Dean, Christina Doll, Isa Genzken, nic Hess, Andreas Hirsch, Julia Horstmann, Manuela Leinhoß, Bärbel Messmann, Bernadette Mittrup, Alex Müller, Seth Price, Julia Scher, Andreas Schulze, Sery C., Lucie Stahl, Monika Stricker, Christoph Westermeier und Johannes Wohnseifer.

Infobox
„Lecture Performances“: 24. Oktober bis 20. Dezember 2009

Die ausstellenden Künstler
Fia Backström
Lutz Becker
Walter Benjamin
Pauline Boudry/ Renate Loernz
Andrea Fraser
Dan Graham
Achim Lengerer
Michael Lentz/ Uli Winters
Xavier Le Roy
Robert Morris
Martha Rosler
ThK (Walking Theory)
V-Girls
Tris Vonna-Michell
Jeronimo Voss

Kölnischer Kunstverein
Die Brücke
Hahnenstraße 6, 50667 Köln

Cornelia Schlößer für repotr-k.de/ Kölns Internetzeitung