Das Archivbild zeigt den Deutschen Bundestag. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Karlsruhe | Artikel ergänzt | Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition für teilweise verfassungswidrig erklärt. Die Regelung zur Streichung der Grundmandatsklausel sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, teilten die Karlsruher Richter am Dienstag mit und bestätigten damit einen Leak von Montagabend.

Demnach soll diese Klausel, wonach eine Partei auch bei einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde mit dem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt, auch bei der nächsten Bundestagswahl gelten. Der Gesetzgeber wurde zu einer Neuregelung aufgefordert.

Der Rest der Reform – die Streichung von Überhang- und Ausgleichsmandaten – kann laut Urteil weiter in Kraft bleiben. Die Begrenzung der Abgeordnetenzahl im Parlament auf 630 bleibt damit bestehen. Dies dürfte dazu führen, dass künftig nicht alle Direktkandidaten, die in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhalten, auch in das Parlament einziehen. Ihnen soll ein Mandat nur noch dann zugeteilt werden, wenn dies durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt ist.

In Karlsruhe hatten unter anderem die Union und die Linke, die bayerische Regierung sowie mehr als 4.000 Privatpersonen gegen die Reform geklagt.

Ampel sieht sich durch Wahlrechtsurteil bestätigt

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Bundeswahlgesetz 2023 überwiegend verfassungsgemäß ist, sieht sich die Ampelkoalition bestätigt. „Die Verkleinerung des Deutschen Bundestags ist vollbracht und verfassungsgemäß“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese am Dienstag.

„Damit haben wir als Regierungskoalition etwas geschafft, an dem eine 16 Jahre unionsgeführte Regierung insbesondere aufgrund der Weigerung der CSU gescheitert ist.“ Man sichere die Funktionsfähigkeit des Bundestages und die effektive parlamentarische Arbeit durch ein „faires, transparentes und einfaches neues Wahlrecht“.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, ergänzte mit Blick auf das Urteil des Verfassungsgerichts, wonach die Fünf-Prozent-Klausel bei einer Streichung der Grundmandatsklausel nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass „sicherlich auch andere Alternativen im Raum gestanden“ hätten. „Wir werden anhand der vom Gericht gefundenen Kriterien auch hierfür eine faire und gerechte Lösung finden.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Till Steffen, sprach sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform gegen eine schnelle weitere Anpassung des Gesetzes aus. „Das Thema Grundmandatsklausel sollte man sich in Ruhe anschauen“, sagte Steffen dem Nachrichtenportal T-Online. „Von Schnellschüssen vor der nächsten Bundestagswahl rate ich ab.“

Der frühere Hamburger Justizsenator lobte das Urteil und seine Ampelkoalition. „Rechtzeitig für die nächste Bundestagswahl haben wir Klarheit. Diese Entscheidung schafft Stabilität für das Wahlrecht“, sagte Steffen. „Die Verkleinerung des Bundestages ist ein großer Erfolg. Dies haben wir gegen den erbitterten Widerstand insbesondere der CSU durchgesetzt.“

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle lobte das Gericht in Karlsruhe ebenfalls. „Das Bundesverfassungsgericht hat ein kluges Urteil gesprochen und das Herzstück der Wahlrechtsreform bestätigt“, sagte Kuhle dem Nachrichtenportal T-Online. „Wenn die Politik das Land reformieren will, dann darf sie sich selbst nicht ausnehmen. Aus diesem Grund darf der Deutsche Bundestag nicht immer weiter unkontrolliert wachsen.“ Kuhle sagte weiter, es sei lange umstritten gewesen, ob die Grundmandatsklausel „überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar“ sei. „Hier sorgt das Gericht mit seiner Entscheidung – unter den aktuellen Bedingungen – endlich für die nötige Klarheit.“

Frei schlägt neue Verhandlungen über Anpassung des Wahlrechts vor 

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei(CDU), hat nach dem Karlsruher Urteil die vorgesehene Kappung von Direktmandaten kritisiert und der Ampelkoalition angeboten, erneut über die Anpassung des Wahlrechts zu verhandeln.

„Die Entscheidung des Gerichts ist natürlich zu akzeptieren, allerdings ist nicht alles, was rechtlich möglich ist, auch politisch klug“, sagte der erste parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Durch das Prinzip der Zweitstimmendeckung und der Kappung von direkt gewonnenen Mandaten wird das Vertrauen in die Demokratie und das Mehrheitsprinzip ganz sicher nicht gestärkt“, warnte Frei. „Als Union sind wir gegenüber der Koalition jederzeit gesprächsbereit, wenn es darum geht, eine bessere Lösung zur Verkleinerung des Bundestages zu finden.“

Der Christdemokrat begrüßte, dass die Grundmandatsklausel zunächst bestehen bleibt. „Der offensichtliche Versuch, politische Konkurrenten über den Umweg des Wahlrechts auszuschalten, ist von Karlsruhe vereitelt worden“, fügte er hinzu. „Die Grundmandatsklausel abzuschaffen zu wollen, war ein Frontalangriff auf die Union, der nun klar abgewehrt worden ist.“

Bas begrüßt „nötige Klarheit“ nach Wahlrechtsurteil  

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat sich nach dem Wahlrechtsurteil des Bundesverfassungsgerichts erleichtert geäußert. „Das Bundesverfassungsgericht hat das Herzstück des neuen Wahlrechts – die sogenannte Zweitstimmendeckung – bestätigt und in dem zentralen Punkt der Wahlrechtsreform für die nötige Klarheit und Rechtssicherheit gesorgt“, sagte sie am Dienstag.

Dass ein Wahlkreissieger künftig nicht mehr automatisch in den Bundestag einziehe, sei vom Gericht als verfassungsrechtlich zulässig erachtet worden. Außerdem sei das Beratungsverfahren im Bundestag nicht beanstandet worden. „Damit ist die Zahl der Abgeordneten künftig eindeutig auf 630 begrenzt.“ Das sei auch ein „wichtiges Signal“ an die Wähler: „Es wird kein unkontrolliertes Anwachsen des Deutschen Bundestages mehr geben.“

Das begrüße sie als Bundestagspräsidentin, weil dies Planungssicherheit schaffe, Kosten begrenze und die Arbeitsfähigkeit des Bundestages stärke. Moniert hatte das Gericht die Fünf-Prozent-Sperrklausel in ihrer jetzigen Form – insbesondere die eigentlich vorgesehene Abschaffung der Grundmandatsklausel. „An dieser Stelle gilt es jetzt, das Urteil in Ruhe auszuwerten“, so Bas.

Deutlich kritischer äußerte sich die Union zu dem Urteil. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt werte es als „Niederlage der Ampel“ vor dem Bundesverfassungsgericht. „Die bewusste Wahlrechtsmanipulation der Ampel wurde vom Bundesverfassungsgericht gestoppt“, sagte Dobrindt dem Nachrichtenportal T-Online. „Der Versuch des eigenen Machterhalts der Ampel, mittels Manipulation des Wahlrechts andere Parteien aus dem Deutschen Bundestag zu drängen, ist gescheitert.“

Dobrindt sagte weiter: „Damit ist offensichtlich geworden, dass die Ampel einen verfassungswidrigen Versuch unternommen hat, große gesellschaftliche und regionale politische Strömungen aus der politischen Willensbildung bewusst auszuschließen.“ Dieser „bewusste Manipulationsversuch“ sei „in höchstem Maße respektlos“ gegenüber den Wählern und der Demokratie an sich.

Ähnlich äußerte sich auch CDU-Chef Friedrich Merz. Mit dem Urteil habe das Gericht die Wahlrechtsreform der Ampel im Sinne der Klage der Union in Teilen als verfassungswidrig eingestuft, sagte er. „Der Versuch der Ampel, politische Konkurrenten mithilfe des Wahlrechts auszuschalten, ist damit gescheitert.“