report-k.de: Wie wichtig ist Köln in der "Kunstmarkt"-Berichterstattung des HANDELSBLATT?
Susanne Schreiber: Köln ist ein wichtiger und historisch gewachsener Kunsthandelsplatz. Im Handelsblatt  berücksichtigen wir online und in der Zeitung Köln so, wie wir die anderen deutschen Kunstmarkt-Brennpunkte (München, Berlin) und die internationalen Drehscheiben (New York, London, Paris, Hongkong) beachten: immer am aktuellen Angebot ausgerichtet und an der Bedeutung des Sammelgebietes, der Ausstellung, der Messe, der Galeriepräsentation.

Was schaut sich das HANDELSBLATT regelmäßig an?
Susanne Schreiber: Die wieder auf Kurs gebrachten Meilensteine Art Cologne und Cologne Fine Art & Antiques (früher Westdeutsche Kunstmesse) bekommen bei uns immer viel Beachtung und einen Aufmacher. Zu den Versteigerungen bei Van Ham und Lempertz schicken wir Marktkenner in den Auktionssaal und berichten dann ausführlich von wahrgenommenen oder ausgebliebenen Bietschlachten. Da wir kein Feuilleton sind und keiner Chronistenpflicht obliegen, wählen wir nach Marktrelevanz des Künstlers aus und verbinden die Ausstellungsbesprechung mit einer Preisübersicht, wenn wir aus Galerien oder Ausstellungen berichten.

Das HANDELSBLATT sitzt in Düsseldorf, der "anderen" Kunstmetropole im Rheinland.  Welche Bedeutung hat diese gern gepflegte Rivalität der Kunstszenen zwischen Köln und Düsseldorf heute noch?
Susanne Schreiber: Die gern besungene Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf ist glücklicherweise Geschichte! Beide Städte veranstalten inzwischen gemeinsame Galeriewochenenden und Shuttles zu Kunstinstitutionen. Köln und Düsseldorf erhöhen so ihre Attraktivität und ihre Reichweiten. Das ist so interessant, dass die Besucher auch von weither anreisen.

Neben Köln und Düsseldorf gibt es natürlich noch Berlin. In den vergangenen Jahren schien es einen allgemeinen Kunst-Trend zu geben: Alle(s) geht nach Berlin, Künstler, Galerien, Sammler etc. Teilen Sie die Einschätzung, dass das Ende von Köln als Kunstzentrum nur noch eine Frage der Zeit ist und die Musik künftig in Berlin spielen wird?
Susanne Schreiber: Köln hat stark an Ausstrahlung für die Kunstszene verloren. Berlin ist in erster Linie wegen der billigen Ateliers und des unfertigen Zustands für Künstler aus aller Welt ein Magnet. Ihnen folgen die Galeristen und etliche der großen deutschen Privatsammler. Doch gekauft wird immer noch in Köln, etwa auf der Art Cologne. Hier spielen viele Stammaussteller einen unverzichtbaren Anteil ihres Jahresumsatzes ein.

Aber einige wichtige Galerien haben in den vergangenen Jahren Köln verlassen; neue Galerien mit interessanten Künstlern werden eher in Berlin eröffnet. Hat das den Kunststandort geschwächt? Blutet die Kölner Galerienszene aus?
Susanne Schreiber: Es wäre unrealistisch zu glauben, Köln hätte sein Kunstprofil auf alle Ewigkeit gepachtet, vor allem wenn die Stadt und ihre aktuellen Politiker sich nicht für die Kunst einsetzen (Stichworte: Kunsthalle, Schauspielhaus). Kölns große, innovative Zeit lag in den 60er- und 70er-Jahren. Privatleute und Stadt zogen damals an einem Strang und traten vehement für die neue Kunst ein. Aber die Schwächung begann schon im zweiten oder dritten Jahr des damals revolutionär neuen „Kunstmarkts“ (heute Art Cologne), als die Veranstalter die Teilnahme amerikanischer Galerien verhinderten. Deutsche Galeristen wollten die amerikanische Pop Art allein vermarkten. Das war dann der Startschuss für die weltweit viel stärker wahrgenommene Messe für moderne und zeitgenössische Kunst in Basel.

Kurz und Knapp: Hat der Kunststandort Köln Zukunft?
Susanne Schreiber: Ja, aber ohne an die alte Alleinstellung. Kurz vor dem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit hat die Kölner Messe das Ruder herumgerissen und mit den Direktoren Daniel Hug und Ulrike Berendson kompetente Praktiker geholt. Doch auch wenn die Art Cologne und die Cologne Fine Art & Antiques in den letzten Ausgaben wieder substanzieller waren: Köln ist und bleibt im föderalen Deutschland nur ein Kunstzentrum unter mehreren, nicht mehr der Nabel der Kunstwelt. Wenn die Kölner Stadtpolitik wie versprochen Messe und Museen wieder mehr unterstützt, dann kann dieses gut vernetzte Kunst-Zentrum auch wieder Strahlkraft entwickeln.

Mit dem Museum Ludwig besitzt Köln auch eines der wichtigsten Museen für zeitgenössische Kunst in Deutschland. Wie sehen Sie Kölns wichtigstes Kunstmuseum?
Susanne Schreiber: Kaspar König und seinem Team gelingt, gestützt auf eine exquisite, viel zu wenig besuchte Bestandssammlung, der Spagat. Einerseits der historische Rückblick etwa zur Russischen Avantgarde, zu Paula Modersohn-Becker oder Piet Mondrian. Andererseits der kluge Zugriff auf aktuell bedeutsame Positionen der Gegenwartskunst: derzeit etwa Leni Hoffmann mit ihren Knetmasse-Eingriffen im Raum, und Wade Guyton, der bis eben noch ein Geheimtipp unter Sammlern war. Der junge New Yorker stellt mit Bildern, die der Tintenstrahldrucker „malt“, unbequeme Fragen nach dem  Wesen des Bildes.

Einen bewegenden Film- und Diskussionsabend bescherte dem Museum Ludwig die Kunstfilmbiennale mit der deutschen Erstaufführung von Steve McQueens Film „Hunger“. Sein Nachdenken über den Gefängnistod des Iren Bobby Sands machte klar, dass so mancher Film eines Künstlers die Power hat, einen schwachen Dokumentar- oder gar einen schnell konsumierbaren Kinofilm an die Wand zu drängen.

Als vertane Chance habe ich die an sich gelungene Schau zu den „Kölner Progressiven“ (Seiwert, Arntz, Hoerle) empfunden. Sie hätte es verdient gehabt, in den Kontext der russischen und französischen Avantgarde gestellt zu werden.

In der Gerhard-Richter-Ausstellung haben mich die Auswahl der Gemälde und ihre zu dichte Präsentation enttäuscht. Der Extra-Raum mit Richters neuester Hinterglas-Serie hingegen gefiel mir recht gut.

Die interessanteste Ausstellung, die Sie im letzten Jahr in Köln gesehen haben?
Susanne Schreiber:
Museum:
Die dritte Bespielung in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums von Köln. Hier habe ich die aus Fäden „gemalten“ Bilder und Kostüme der Kölner Künstlerin Renate Köhler für mich entdeckt.

Galerien: In der Baukunst Galerie am Heuß-Ring die Hans Op de Beeck-Ausstellung. Der Belgier schafft sehr suggestive Videos, die uns die tragikomische Absurdität unserer Existenz vor Augen halten.

Messe: auf der Cologne Fine Arts & Antiques die Koje des Kölner Antikenhändlers Gordian Weber und die diversen Crossover-Gemeinschaftsstände.

Internationales Niveau hat Köln mit der Kunstmesse Art Cologne. Die war geraume Zeit in der Krise. Hat die Art Cologne ihre Krise überwunden?
Susanne Schreiber: Messen für zeitgenössische Kunst  – eine Kölner Erfindung! –  gibt es heute viele: in Berlin, in Karlsruhe, in Brüssel, in Paris und dazu die international so gut platzierten Konkurrenten Frieze in London und die Art Basel. Doch die Art Cologne und die Cologne Fine Art & Antiques sind meiner Einschätzung nach wieder auf gutem Weg. Aber es müssen noch mehr erstrangige Galerien und Kunsthändler den Weg nach Köln finden, nicht wie früher nur peinliche Platzhalter, die die zwar die Standmiete bezahlen, aber das Image  beschädigen.

Wo sehen Sie die Art Cologne heute im Vergleich zu den wichtigsten internationalen Konkurrenten wie Art Basel, Frieze Art Fair etc.
Susanne Schreiber: Die Art Basel zieht Sammler und Museumsleute buchstäblich aus aller Welt an. Nirgends kann man so umfassend den Markt sondieren. Die Frieze in London hat den Sexappeal der jungen Kunst, den Glamour und die (bislang) mit Boni und satten Gehältern ausgestatteten Berufsgruppen, die die zeitgenössische Kunst für sich entdecken wollen – koste sie, was sie wolle. Vergleiche damit schaden der Art Cologne eher. Sie ist in die Jahre gekommen und solide – und dennoch lassen sich hier sehr gute Geschäfte machen (für deutsche Verhältnisse) und auch jüngere Talente entdecken.

Neben der großen Art Cologne gibt es noch die ehemalige Satellitenmesse Art.Fair 21,die nun separat Ende Oktober in den Rheinparkhallen stattfinden soll, also am Ort und Termin der "Muttermesse". Sehen Sie die Art.Fair 21 als Konkurrenz für die Art Cologne oder als Totgeburt?
Susanne Schreiber: Weder noch, eher als Spielwiese.

Mit der Photokina könnte Köln eigentlich die deutsche "Photographie-Hauptstadt" sein. Ist es aber nicht. Was fehlt?
Susanne Schreiber: Mit der Photokina, der Fotografischen Sammlung im Museum Ludwig, der Photographischen Sammlung in der SK Stiftung Kultur, Galerien wie  Priska Pasquer, Thomas Zander, in focus oder Lichtblick sowie den Fotoexperten bei Lempertz und Van Ham versammelt Köln durchaus Kompetenz in Sachen Lichtbildnerei. Die regelmäßigen Handelsblatt-Marktanalysen für historische und aktuelle Fotografie haben ergeben, dass es Deutschland vor allem an Privatsammlern mangelt, die für das hierzulande facettenreich angebotene Material mehr als nur kleine Münze auszugeben bereit sind. So kommt es, dass preisgünstige Raritäten regelmäßig von ausländischen Kennern ersteigert werden.

Der internationale Kunstauktionsmarkt wird von Christie’s und Sotheby’s beherrscht. In Köln gibt es mit Lempertz und Van Ham zwei unabhängige Auktionshäuser. Wie schlagen die sich aus Ihrer Sicht?
Susanne Schreiber: Deren Performance war das Erstaunliche und Erfreuliche im Kunstmarktjahr 2009. Während bei den Multis die Umsätze massiv eingebrochen sind, bei zeitgenössischer Kunst bis zu 50 Prozent, kam Lempertz 2009 mit 36 Mio. Euro statt 47 Mio. Euro im Boomjahr 2008 noch glimpflich davon. Kunstauktionen Van Ham hingegen konnte  seinen Jahresumsatz sogar um 10 Prozent auf rund 20 Millionen Euro steigern.

Gerhard Richter, der lebende Künstler, dessen Arbeiten auf dem internationalen Kunstmarkt die höchsten Preise erzielt, lässt sich von ausländischen Galerien vertreten, obwohl er schon seit Jahrzehnten in Köln lebt und arbeitet, und die Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s haben wesentlichen Anteil daran, dass er zum "teuersten lebenden Künstler der Welt" wurde. Heißt das auch, dass Kölner/deutsche Galerien international nicht mitspielen?
Susanne Schreiber: Wenn ein Gemälde von Gerhard Richter mehrere Millionen Dollar einspielt, verdienen das Auktionshaus und der einliefernde Privatsammler, wenn dieser denn das Werk vor der jüngsten Hochpreisphase erworben hat. Der Künstler bekommt nur wenige Prozente durch das Folgerecht. Richter hat übrigens keine deutsche Galerie, die ihn vertritt. Der Secondary-Händler Paul Schönewald (Düsseldorf) hat aber regelmäßig eine gute Auswahl an Werken aller Stilphasen.

Der Primärmarkt (Galerien, die Künstler aufbauen) agiert unabhängig vom Sekundärmarkt (Handel). Im Primärmarkt spielen Kölner Galerien selbstverständlich international mit. Der Kunstmarkt ist übrigens seit dem 19. Jahrhundert ein globaler Markt. Denken Sie an die französischen Kunsthändler, die die Impressionisten in den USA und in Deutschland durchsetzten.

Eine Kunststadt ist nichts ohne Künstler. Mit Polke und Richter leben und arbeiten zwei der wichtigsten deutschen Künstler in Köln. Wie interessant ist Köln aber für junge Künstler?
Susanne Schreiber: Das müssen Sie Kölner Künstler fragen.

Dann nennen Sie uns doch einmal ein paar Kölner Künstler, die Ihnen aufgefallen sind.
Susanne Schreiber:
Die Förderkojen auf der Art Cologne lohnen immer einen Blick. Messegänger schauen auf die künstlerische Haltung, nicht auf den Standort der Galerie. Deshalb muss ich Philip Loersch nennen, auch wenn die Düsseldorfer Galerie Ursula Walbröl ihn vertritt. Loersch schafft es, seine Zeichnungen auf gewagte Art in den Raum laufen zu lassen. Bei der Leipziger Galerie Kleindienst war mit zuletzt der Neo Rauch-Schüler Sebastian Speckmann aufgefallen, der das alte Medium Holzschnitt gekonnt neu interpretiert. Wenn ich in Köln bin, schaue ich gern bei der Galerie Kudlek van der Grinten vorbei. Hier sind mir Ellen Keusen und Ines Hock aufgefallen. Bei Werner Klein hat mich Katharina Hinsberg sehr beeindruckt, die mit dem Skalpell zeichnet und mit dem Raum spielt.

Zum Abschluss: Wenn Sie drei Wünsche an Köln formulieren dürften, was würden Sie sich von Köln wünschen?
Susanne Schreiber:
1.Keinen Pfusch am Bau
2.Mehr Förderung der Kunst – Museen müssen auch die Etats haben, national und international wichtige Ausstellungen zu stemmen
3.Kein Unglück mehr wie der Einsturz des Historischen Archivs

INFOS:
Susanne Schreiber leitet seit 2004 das Ressort "Kunstmarkt" der Wirtschafts-
und Finanzzeitung Handelsblatt. Davor promovierte sie über den spätgotischen Bildhauer Niclaus Gerhaert von Leiden und berichtete seit 1986 von Berlin aus über Ausstellungen und Auktionen in beiden Teilen Berlins und der DDR.

Das Interview führte Christoph Mohr

Foto: Handelsblatt