Starke Betroffenheit vieler Bürger im Kölner Norden über Störfall im Chemiepark! Wohnen wir auf einem chemischen Pulverfass? Bürgerinitiative „Wohnen und Umwelt“ Kölner Norden e.V. erstattet Strafanzeige! Nicht zur Tagesordnung nach dem Störfall übergehen, sondern handeln! Rechtzeitiger Schuss vor den Bug ist auch eine Chance! Bürgerinitiative fordert Sondersitzung des Kölner Stadtrates, Konsequenzen aus dem Störfall und effektivere Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung!
Bürgerinitiative will wissen, welches Gefährdungspotential insgesamt von den vielen Chemiefirmen im Raum Kölner Norden, Dormagen, Leverkusen ausgeht! Dank an Kölner Feuerwehr, eine Katastrophe verhindert zu haben!
 
Sehr geehrte Damen und Herren,
 
neben der Strafanzeige des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) liegt der Staatsanwaltschaft Köln seit heute auch eine Strafanzeige der Bürgerinitiative „Wohnen und Umwelt“ Kölner Norden e.V. gegen Unbekannt vor.
 
Die Bürgerinitiative, die vom Umweltbundesamt nach § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannt ist, vertritt eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern im Kölner Norden. Die Betroffenheit vieler hier lebenden Menschen über diesen Störfall ist sehr groß. Die Bürgerinitiative hat sich angesichts des großen Ausmaßes und der Gefährlichkeit des Störfalls am 17.3.2008 und der dadurch möglichen Gefährdung der im Kölner Norden wohnenden Bürgerinnen und Bürger für Gesundheit, Leib und Leben für eine Strafanzeige entschieden.
 
Die Bürgerinitiative begründet die Anzeige mit der schweren Gefährdung der Bevölkerung und Umwelt des Kölner Nordens und der angrenzenden Gemeinden durch die Freisetzung von Giften und die dadurch bedingte Luftverunreinigung. Es geht darum zu überprüfen, ob gegen maßgebliche Vorschriften der Störfallverordnung  und Vorschriften der §§ 325 und 330a StGB verstoßen wurde.
 
Wir haben auch darum gebeten zu überprüfen, ob nicht ein Verstoß gegen die Informationspflichten nach der Störfallverordnung vorliegt. Außer der Information, in der Wohnung zu bleiben und Fenster und Türen zu schließen, wusste die Bevölkerung nicht, wie sie sich hätte verhalten sollen, schon gar nicht für den Fall eines Supergaus. Es ist erstaunlich, dass laut Fernsehberichten schaulustige Autofahrer (die am Weiterfahren gehindert waren) und andere Schaulustige sich einige hundert Meter von dem Brandherd entfernt das „Schauspiel“ im Freien ansehen konnten, ohne von offizieller Seite gewarnt zu werden. Dabei hatte die Feuerwehr bereits Vorsorge für ein sog. Massenverletztenlager getroffen und damit einen Supergau mit einer noch stärkeren Freisetzung von Giften in der Luft nicht ausgeschlossen, möglicherweise sogar einer für weite Teile des Kölner Norden und der angrenzenden Gemeinden verheerenden Explosion, die Kettenreaktionen in dem Chemiepark hätte nach sich ziehen können. Für uns Betroffene im Kölner Norden stellt sich nach diesem außergewöhnlichen Störfall auch die Frage, warum die Bevölkerung  des Kölner Nordens nicht bereits präventiv auf einen solch außergewöhnlichen Störfall vorbereitet wird. Offensichtlich werden solche außergewöhnlichen Störfälle von Firmen und Umweltbehörden aber von vornherein ausgeschlossen.
 
Viele hier lebende Menschen haben nach dem Brand-Inferno jetzt verständlicherweise große Angst angesichts der vielen auf engsten Raum vorhandenen Chemieanlagen (Chemiepark Dormagen / Worringen;  Industriegebiet Kölner Norden zwischen Neußer Landstraße, BAB 1, Emdener Straße, Rhein; Chemieanlagen in Leverkusen) und auch Pipelines, die durch den Kölner Norden führen (u.a. in der Nähe des Militärrings). Wenn auch nicht jede Anlage als lebensbedrohend gesehen werden muss, haben nach dem Störfall viele das ungute Gefühl, auf einem „chemischen Pulverfass“ zu wohnen. Vertrauen in die Sicherheit von Chemieanlagen ist verloren gegangen. Wir fordern deswegen eine ungeschminkte Aufklärung des Störfalls. Wichtig ist uns unter anderem auch, ob und inwieweit die Firma Ineos und die Genehmigungsbehörde bei der Genehmigung der Anlage Szenarien mit möglichen Kettenreaktionen bzw. Dominoeffekten in Chemiepärken dieser Größenordnung berücksichtigt haben.
 
Bei alledem ist zu bedenken, dass es sich auf dem Betriebsgelände der Fa. Ineos nicht um den ersten Störfall handelt. In der Vergangenheit (auch schon bei der Vorgängerfirma, der EC Worringen) hat es Störfälle gegeben. Der jetzige Riesenstörfall ist der vorläufige Höhepunkt schon vorausgegangener Störfälle. Vielleicht musste es ja so kommen („Schuss vor den Bug“). Deswegen sehen wir in diesem Störfall auch die Chance, die Sicherheit von Chemieanlagen in dicht besiedelten Regionen wie dem Raum Köln-Dormagen-Leverkusen zu überdenken und neue Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Wir haben den Eindruck und befürchten, dass die Sicherheitsphilosophie in den letzten Jahren sehr gelitten hat. Einerseits wird bei zunehmenden Gewinnerwartungen und dem Kostendruck in den Chemieunternehmen immer mehr Personal abgebaut und möglicherweise auf Subunternehmer zurückgegriffen, was zu Lasten der Sicherheit gehen könnte. Andererseits haben die verantwortlichen Politiker in Bund und Land NRW aus Kostengründen und Gründen der Investitionserleichtung dazu beigetragen, sinnvolle gesetzliche Vorschriften in den Genehmigungsverfahren zu deregulieren (u.a. auch in den Bürgerbeteiligungsverfahren, um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen!) und die Umweltverwaltung durch umstrittene und fragwürdige Umorganisationen und Personalabbau in ihrer Effektivität zu schwächen.
 
Sehr im Stich gelassen fühlen wir uns von den Kölner Kommunalpolitikern. Während sich der Dormagener Bürgermeister Heinz Hilgers (SPD) öffentlich zu Wort gemeldet hat, schweigen die politischen Spitzen der Stadt Köln (Oberbürgermeister, Chefs der Rathausfraktionen) bisher, obwohl es sich laut Kölner Feuerwehr mit dem Einsatz von 1200 Feuerwehrleuten um den größten und schwierigsten Feuerwehreinsatz nach dem zweiten Weltkrieg in Köln gehandelt hatte und weite Teile der Kölner Bevölkerung angesichts eines drohenden Supergaus stark gefährdet waren. Der Dormagener Bürgermeister gab laut Neuß-Grevenbroicher-Zeitung am 20.3.2008 zu, dass die Menschen in der Region „Glück, großes Glück“ gehabt hätten. Bei einer anderen Wetterlage hätte es schlimme Folgen geben können. Hilgers forderte, über zusätzliche Sicherungsmaßnahmen nachzudenken.
Im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung fordern wir deswegen eine baldige Sondersitzung des Rates der Stadt Köln, in der über mehr Sicherheit für die Bevölkerung und Konsequenzen nach dem Störfall gesprochen wird. Wissen wollen wir Bürger auch, welches Gefährdungspotential insgesamt von den vielen Chemieanlagen im Raum Köln-Dormagen-Leverkusen ausgeht.
 
Und abschließend noch ein Hinweis zu dem krebserregenden Giftstoff Acrylnitril. In der Fachliteratur wird dieser Stoff wie folgt beschrieben: „Da das Gas schwerer als die Luft ist kann es sich am Boden ausbreiten. Somit ist auch eine Fernzündung möglich.“ Leider ist in der bisherigen Presseberichterstattung dieser Hinweis noch nicht erfolgt. Wäre dieser Stoff in großen Mengen aus dem defekten Tank ausgetreten, hätte sich dieser Stoff wegen seiner Schwere so schnell nicht verflüchtigt und es wäre zu einer Katastrophe gekommen. Wir sind der Kölner Feuerwehr dankbar, dass sie diese Katastrophe verhindern konnte.

[nh; Quelle: Bürgerinitiative „Wohnen und Umwelt“ Kölner Norden e.V.]