Das Medieninteresse war entsprechend groß: Einerseits ging es am Donnerstagabend um ein neues Stück der österreichischen Nobelpreisträgerin, andererseits aber auch um ein erstes Drama, das die Wirtschaftskrise thematisiert. Die Uraufführung stellte sich als aufregender und unkonventioneller Theaterabend heraus. Als künstlerische Bearbeitung dieses hochaktuellen Themas allerdings wurde das neue Werk von Elfriede Jelinek einigen Erwartungen mit Sicherheit nicht gerecht. Wie gewohnt, ist ihr Stil auch in diesem Fall geprägt durch Kalauer, Wortwitz, dazu eine deftige Portion Zynismus. Nicolas Stemanns Inszenierung bot passend dazu eine ungewöhnlich große Fülle an Regieeinfällen und ergab zusammen mit Jelineks Text einen unterhaltsamen, originellen aber auch langen und etwas überladenen Premierenabend.

Nestbeschmutzerin, Nobelpreisträgerin, literarische Instanz: Elfriede Jelinek
Die Zeiten sind zum Glück vorbei, in denen Elfriede Jelinek mit Etiketten abgefertigt worden und in der mehr über sie geschrieben als von ihr gelesen worden ist. Spätestens nach der teilweise heftig kritisierten Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2004 war die Kritik an ihrem Werk und ihrer Person selbst in ihrem Heimatland Österreich stiller geworden. In erster Linie ging es in ihrer Literatur nie um Themen wie Sexualität, Feminismus oder soziale Kälte, sondern um einen experimentellen und lustvoll-zynischen Umgang mit Sprache, um Klangfarben, die teilweise bewusst unverständlich bleiben. In diesem Sinne ist Jelinek Teil einer Tradition von sprachexperimenteller Literatur, die hauptsächlich in den sechziger Jahren ihre Blütezeit hatte und heute aus dem kommerziellen Literaturbetrieb leider nahezu verschwunden ist.

Gleichzeitig aber hat sich Elfriede Jelinek immer schon für sehr aktuelle Themen interessiert. So thematisierte etwa im dem 2003 entstandenen Drama „Bambiland“ den Irakkrieg. In diesem Fall mit dem Titel „Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie“ aber war Jelinek scheinbar noch schneller als üblich: Der Text war bereits im September 2008, also kurz vor der Finanzkrise fertiggestellt. Einen zusätzlichen Teil mit dem Titel „Schlechte Nachrede“, in dem der aktuelle Bezug ausgeweitet wurde, fügte die Autorin in letzter Minute hinzu. „Die Kontrakte des Kaufmanns“ beinhalten dabei alle für Jelinek typischen Stilmerkmale. Charakteristisch ist beispielsweise, dass die auftretenden Figuren keine wirkliche Identität haben, sondern vielmehr allesamt als Sprachrohr der Autorin fungieren. Insgesamt muss man sagen, dass sich das zum großen Teil abstrakte bis völlig nichtssagende Vokabular, das in der Zeit der Wirtschaftskrise nach wie vor die Nachrichten beherrscht, vorzüglich für eine derartige Textcollage eignet. Dennoch gehört „Die Kontrakte des Kaufmanns“ nicht zu Jelineks besten Werken. Das liegt aber weniger am behandelten Thema als vielmehr an der in diesem Fall etwas sehr zu Wiederholungen und platten Überspitzungen neigenden Sprache.

„Theatrale Eingreiftruppe“: Nicolas Stemanns Inszenierung
Der Regisseur Nicolas Stemann hat mit „Die Kontrakte des Kaufmanns“ bereits zum fünften Mal ein Werk Elfriede Jelineks auf die Bühne gebracht und scheint nach dem 2001 verstorbenen Einar Schleef zum neuen Stammregisseur für Jelineks Texte geworden zu sein. Im Vorfeld der Aufführung bereits war von Schwierigkeiten die Rede, nicht zuletzt, da die Uraufführung eigentlich erst für Herbst 2010 geplant war, aber wohl aus gegebenem Anlass vorgezogen worden ist. Man merkt der vom Regisseur als „szenische Lesung“ angekündigten Inszenierung den Zeitdruck an. Das allerdings passt überraschend gut zu Jelineks Vorlage: Alles scheint hier ein „Work in Progress“ zu sein, und was an dramaturgischer Geschlossenheit fehlt, wird aufgewertet durch eine Überfülle an Motiven und Bildern. Das Bühnenbild ist ein buntes Chaos aus Musikinstrumenten wie Klavier und Schlagzeug, Digitaldisplays, die meist Börsenkurse zeigen, einer Kleiderstange, Tiermasken und eine ganze Menge anderer Requisiten. Sowohl auf die große Leinwand im Hintergrund als auch an die Wänden links und rechts werden Bilder und Filmausschnitte projiziert. Immer wieder werden die vorgetragenen Textpassagen musikalisch begleitet: Ganze Songs werden mehrfach am Klavier oder auf der Gitarre gespielt. So wie die Musik selbstverständlich live auf der Bühne gespielt wird, sind auch nahezu alle Videoeffekte auf der Bühne durch eine stets präsente Handkamera erzeugt. Einfach gemacht hat es sich die Inszenierung hier auf keinen Fall.

Über die Schauspieler, die ihren Text meist direkt vom Manuskript ablesen, und ihre darstellerischen Leistungen kann man nur schwer etwas sagen. Diese waren zwar sehr engagiert, haben aber dennoch anders als in anderen Bühnenwerken nicht die Funktion, eine Rolle wirklich verkörpern zu müssen. Ein für dieses Stück guter Einfall ist die Tatsache, dass auf einem digitalen Display am Bühnenrand die 99 Seiten des Textes rückwärts heruntergezählt werden, so dass man stets weiß, an welcher Stelle man sich befindet: Was bei jeder klassischen Theateraufführung völlig unsinnig wäre, macht im Kontext von Jelineks bewusst konfusem Text ohne wirkliche Handlung, ohne traditionellen Spannungsaufbau, selbst ohne Charaktere durchaus Sinn.

Jelinek überließ es immer schon den Regisseuren, mit dem Material frei zu verfahren. Stemann allerdings hielt sich im aktuellen Stück möglicherweise etwas zu sehr an den vorgegebenen Text. Ein paar Kürzungen jedenfalls hätten der Inszenierung mit Sicherheit nicht geschadet. Dennoch kann man dem Regisseur angesichts des ursprünglichen Materials keine Vorwürfe machen: Es stellt sich die Frage, wie man diese Vorlage überhaupt in ein bühnentaugliches Format bringen kann – noch dazu in kürzester Zeit. Jelineks im Vorfeld geäußerter und wahrscheinlich nicht völlig ernst gemeinter Wunsch nach einer „theatralen Eingreiftruppe“, die so schnell wie möglich Stücke auf die Bühne bringen soll, haben Regisseur und Ensemble jedenfalls erfüllt. In diesem Sinne also hat Nicolas Stemann zweifellos beachtliche Arbeit geleistet.

Überlänge, Unruhe und eine fehlende Pause
Eine an sich völlig belanglose Kleinigkeit sollte sich an diesem Abend allerdings zu einem großen Problem entwickeln: Zu Beginn betrat der Regisseur mit einem Mikrofon die bunt zugestellte Bühne und erklärte vorab den Ablauf: Dreieinhalb Stunden ohne Pause sollte die Aufführung gehen. Wer wollte, konnte ins Foyer gehen und etwas trinken, die Türen blieben offen und das Licht die meiste Zeit über angeschaltet. Dass dies nicht funktionieren konnte, lag eigentlich auf der Hand. Die Tatsache, dass die Aufführung in die Foyers übertragen wurde, konnte dabei auch nicht wirklich für den seltsamen Regieeinfall entschädigen. Hier ist leider auch ein ebenso zentraler wie unnötiger Fehler der Inszenierung zu sehen: Einerseits will man als Zuschauer von der Bühnenhandlung nichts verpassen, andererseits ist gerade die zuweilen hysterische und teilweise absolut nicht verständliche Vielfalt der Stimmen auf der Bühne mit ihren unzähligen Anspielungen derart anstrengend, dass es der Zuschauer dreieinhalb Stunden kaum aushält.

Ein weiteres Problem ist die durch ständige Bewegung im Saal hervorgerufene Ablenkung vom Geschehen auf der Bühne. Das Publikum war zwar um Rücksicht bemüht, allerdings ist ein Gang durch die Sitzreihen allein aus Platzgründen während der Vorstellung kaum ohne Störung zu bewältigen. Eine Theaterveranstaltung ist eben nach wie vor etwas anderes als ein Popkonzert: Gerade in größeren Häusern wie dem Kölner Schauspielhaus wirken Bierbecher im Publikum genauso deplatziert wie Sektgläser bei einem Motörhead-Konzert. Man muss kein Hellseher sein, um angesichts der Länge des Stückes Geschwätz und Rein-Raus-Spiel an den Türen vorherzusagen. Der Jazzpianist Keith Jarrett etwa, der bereits nach einem Husten im Publikum seinen Auftritt 2007 in der Frankfurter Festhalle unterbrochen hat, hätte es an diesem Abend keine fünf Minuten auf der Bühne ausgehalten. Andererseits wiederum kann man es dem Publikum kaum vorhalten, während dieser Vorstellung zeitweise den Saal zu verlassen, womit dieses Problem letzten Endes auf die Regie zurückgeführt werden muss.

Weniger wäre (noch) mehr gewesen
Zusammenfassend muss man sagen, dass Stemanns Inszenierung gerade da ihre größten Stärken aufweist, wo der Rahmen der Komödie, die in den schlechteren Momenten zu reinem Klamauk verkommt, verlassen wird, und ein ernsthafter Tonfall die Bühne beherrscht. Dass dies hauptsächlich im letzten Drittel der Veranstaltung geschieht, vor allem in der von Jelinek zusätzlich verfassten Passage „Schlechte Nachrede“, zeigt, dass teilweise gerade das zurückgenommene Inszenieren und eine gewisse Spontanität stärkere Bühnenwirkung haben kann als etwa ebenso sorgfältig komponierte wie ermüdend ausgedehnte Popsongs. Ein bisschen weniger wäre eben (noch) viel mehr gewesen. Dennoch wird „Die Kontrakte des Kaufmanns“ in der Inszenierung von Nicolas Stemann in Erinnerung bleiben als engagierte und stellenweise exzellente Bühnenarbeit, die allein durch ihre Fülle an Ideen so manche traditionelle Theaterveranstaltung gleich mehrfach alt aussehen lässt. Wer das nicht honorieren kann, wie beispielsweise der typische Oberlehrer-Rezensent der allgemeinen Zeitungsmarke, hätte lieber Zuhause in Frankfurt bleiben und den Wirtschaftsteil lesen sollen, der mindestens so absurd ist wie Jelineks Sprachspielerei. Allerdings bei weitem nicht so kurzweilig.

Edgar Naporra für report-k.de/ Kölns Internetzeitung