Roters nennt in seiner Ansprache aber auch die Ziele seiner Politik und benennt die wichtigsten Aufgaben. Auch hier steht an erster Stelle des Oberbürgermeisters die Rettung der Archivalien und deren Restaurierung, den Neubau des Archivs nennt er "Leitprojekt". Den Einsturz des Archivs nennt Roters aber auch einen Wendepunkt, da sich die Bürger bei der Kommunalwahl für einen Neustart entschieden haben. Was die Position des Oberbürgermeisters angeht, stimmt das auch faktisch, was die politischen Mehrheiten im Kölner Stadtrat betrifft ist dies so nicht richtig dargestellt. Denn schon vor der Kommunalwahl regierte mit Duldung der Linken ein rot-grünes Kernbündnis, das nun mit der Stimme des Oberbürgermeisters alleine regieren kann. Hier gab man am 23.12.2009 bekannt, das man nach zähen Verhandlungen jetzt eine Koalition bilden will, deren inhaltliche Ausrichtung allerdings erst im neuen Jahr dargelegt werden soll.

Roters macht in seiner Neujahrsansprache überdeutlich in welcher finanziellen Situation sich die Stadt Köln befindet und dass es Fehlbeträge in den städtischen Kassen in dreistelliger Millionenhöhe gebe. Bei den durch die städtische Finanzkrise hervorrgerufenen Strukturveränderungen will Roters allerdings darauf achten, dass die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben. Roters will auf breite Bildung setzen und vor allem den Wissenschaftsstandort Köln fördern und Köln in der Region stärken. Damit legt Roters einen Schwerpunkt im institutionellen Bereich, der vom Staat getragen wird. Wie Roters die private Wirtschaft an den Standort binden will, oder neue Investoren und Unternehmen an den Standort holen will bleibt undeutlich. Auch in den Bereichen der Integrations-, Umwelt- und Klimapolitik bleibt Roters in seiner Rede noch unscharf. Da darf man dann sicher auf die Vorstellung der Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und den Grünen gespannt sein, denn von den Wählern beider Parteien wurde Roters zum Oberbürgermeister gewählt.

Oberbürgermeister Jürgen Roters zum Neujahrstag 2010 –
Wortlaut in Kursiv gesetzt

„Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Stadt und der Region,
liebe Kölnerinnen und Kölner!

Mit dem Countdown um Mitternacht ist das alte Jahr über die Ziellinie gegangen und ich hoffe, dass Sie und Ihre Familien nach dem vorweihnachtlichen Endspurt gesund und wohlbehalten ins neue Jahr 2010 gekommen sind. Wenn nach einem Marathon der Zieleinlauf geschafft ist, kann man als Sportler neuen Atem holen und sich ausruhen, um frische Kräfte zu sammeln. Man schaut zurück, überdenkt seine Lauftaktik und zieht Bilanz, was auf der Strecke gut und was schlecht gelaufen ist. Das muss sein, denn man will ja für die nächste Herausforderung noch besser gerüstet sein.

So ähnlich geht mir das auch bei diesem Jahreswechsel. Ich blicke zurück und sehe, was im Jahr 2009 geleistet worden ist. Köln hat einige seiner gesetzten Ziele erreicht. Wir haben den Rheinauhafen weiter zu einem der attraktivsten Standorte für kreative Zukunftsbranchen ausgebaut, wir haben mit der Gamescom die weltweit größte Computerspielemesse erfolgreich nach Köln geholt und über 240.000 Besucher angelockt, wir haben das Wissenschaftsmuseum Odysseum in Kalk eröffnet und den Standort durch modernes Wohnen und Einkaufen weiter aufgewertet.

Der Tiefpunkt, den wir alle im vergangenen Jahr erleben – ja ich muss sagen, durchleiden – mussten, war der Einsturz des Stadtarchivs am 3. März 2009, bei dem zwei junge Menschen auf tragische Weise ihr Leben verloren, das historische Gedächtnis der Stadt verschüttet und die Lebensader eines ganzen Stadtquartiers für Monate gekappt wurde. Ein Absturz ins Tal der Tränen, ein Schock für die, die allzu sorglos auf die Machbarkeitsroutine der Technik vertraut haben. Auch wenn die Frage nach Ursache und Verschulden noch ungeklärt ist und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch andauern, so hätten sich viele Kölnerinnen und Kölner nach diesem Unglück gewünscht, dass jemand aufsteht und sagt, ich übernehme die Verantwortung, ich zeige mich verantwortlich, für das, was nun zur Aufklärung des schlimmen Geschehens und zur Beseitigung seiner Folgen geschehen muss. Allein – es ist ihnen verwehrt worden. Der Einsturz vom 3. März war nicht nur der Tiefpunkt des Jahres, sondern auch der Tiefpunkt für das Vertrauen in die politische Führung dieser Stadt. Ein Weiter-So konnte es nach dieser Katastrophe nicht geben.

Meine Damen und Herren, die Wunden, die das Unglück an der Severinstraße geschlagen hat, werden uns noch auf Jahre beschäftigen. Ich wünsche den Familien der beiden getöteten jungen Männer gerade in den Stunden des Jahreswechsels Kraft und Trost, ihre Trauer zu überwinden. Ich sage auch zu: Unser Einsatz für die Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, und für die Anlieger an der Severinstraße, die schon lange von den Auswirkungen des U-Bahnbaus betroffen sind, wird weitergehen. Mein Dank gilt allen Feuerwehrleuten, den Hunderten von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, den Archivaren, den Polizisten und den städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bei der Bewältigung der Folgen des Unglücks tatkräftig mit angepackt haben. Die Bergung des noch verschütteten Archivguts und die Restaurierung der beschädigten Schätze werden für die kommenden Jahre Topaufgaben unserer Agenda sein.

Der Neubau des Historischen Archivs ist für mich ein Leitprojekt. Es soll als Bürgerarchiv und als Schaufenster rheinischer Kulturgeschichte eine Brücke zwischen Wissenschaftsstadt und Bürgerschaft schlagen. Es wird bürgerfreundlichen Service mit wichtigen innovativen Strukturen in Digitalisierung und Archivierung verbinden. Der Rat hat den neuen Standort am Eifelwall beschlossen, ich werde nun dafür sorgen, dass die Planungen mit Priorität vorangetrieben werden. Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, der 3. März 2009 war nicht nur ein Tiefpunkt, er war auch ein Wendepunkt. Köln hat sich bei der Kommunalwahl im August bewusst für einen Neustart entschieden. Ich stelle mich dieser Verantwortung mit vollem Einsatz. Ende Oktober bin ich zusammen mit dem neuen Stadtrat an die Arbeit gegangen.

Die ersten Pflöcke habe ich mit der neuen Initiative für ein besseres Stadtmarketing in der Region 100 Kilometer rund um Köln und der Vorlage für die Sanierung der Oper und den Neubau des Schauspielhauses eingeschlagen. Jetzt liegt ein neues Jahr mit vielen Herausforderungen und Problemen, aber auch mit Chancen und Möglichkeiten vor uns. Mit dem Silvester-Feuerwerk und dem Geläut der Domglocken ist zugleich der Startschuss für das Langstreckenrennen 2010 gefallen. Denn anders als im Sport muss es mit dem Zieleinlauf 2009 nun direkt mit aller Energie weitergehen. „Das Jahresende ist kein Ende und kein Anfang, sondern Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung gelehrt hat“, schrieb der amerikanische Schriftsteller Hal Borland.‘

Als passionierter Marathonläufer weiß ich, dass man sich das Rennen sehr gut einteilen und langen Atem beweisen muss. Klar ist schon jetzt: 2010 wird ein Lauf unter schwierigsten Bedingungen. Wir müssen eine Vielzahl komplexer „Baustellen“ im wahren und im übertragenen Sinn abarbeiten. Wir gehen in einer der schwierigsten Haushaltssituationen der Kölner Nachkriegsgeschichte an den Start und müssen dafür sorgen, dass wir unsere kommunalen Handlungsspielräume erhalten, obwohl Bund und Land uns immer neue Lasten aufbürden. Nach bereits eingerechneten Einsparungen von rund 160 Millionen Euro und einem Rückgriff auf rund 150 Millionen aus unserer Ausgleichsrücklage bleibt für das Jahr 2010 immer noch ein Fehlbetrag von 220 Millionen Euro zu stemmen. Diese Zahlen machen deutlich: Unsere Stadt befindet sich in einer Finanzkrise von bedrohlichen Ausmaßen für die gesamten Strukturen unserer Stadtgesellschaft. Ich appelliere deshalb noch einmal mit allem Nachdruck an Bundes- und Landesregierung, den Kommunen für übertragene Aufgabenleistungen auch die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Finanzausgleich muss stimmen – sonst werden uns die Folgekosten schrumpfender Strukturen auf kommunaler Ebene alle teuer zu stehen kommen. Gewachsene, bewährte Strukturen im Sozialbereich, für den Arbeitsmarkt, im Sport, in der Kinderbetreuung, im Schulbereich und in der Kultur dürfen nicht zerstört werden. Wir müssen sehr genau abwägen, wo wir dauerhafte, strukturelle Spareffekte erreichen können und wo wir Eingriffe vermeiden müssen, um sensible Strukturen zu schützen. Unser Ziel lautet: Bei diesem Hindernislauf darf niemand auf der Strecke bleiben, schon gar nicht die Schwächsten unserer Stadtgesellschaft.

Wenn man zu einem Marathon startet, muss man sich Ziele setzen, sonst geht unterwegs die Orientierung verloren. Meine Ziele für 2010 orientieren sich an vier Marksteinen:
1. Wiederherstellung der sozialen Balance in unserer Stadt,
2. Modernisierung unseres Schul- und Bildungssystems,
3. Förderung der Strukturen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie
4. Erfolgreiche Integration.

In den letzten Jahren ist das soziale Gefüge in unserer Stadt immer weiter ins Wanken gekommen, die Kluft zwischen armen und gutsituierten Stadtteilen ist tiefer geworden. Deshalb will ich hier entschieden gegensteuern. Die Förderung qualitativ gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Veedeln wird im Fokus meiner Politik für stehen. Ich will Stadtteile mit hohem Sozialdruck besser für ihre Aufgaben ausstatten, Bildungsbenachteiligungen konsequent abbauen und die Belebung der Stadtteilzentren gezielt fördern. Es darf nicht länger sein, dass Jugendliche und Kinder in unserer Gesellschaft als chancenlos
abgestempelt werden, weil sie in einem benachteiligten Stadtteil aufgewachsen sind oder einen bestimmten Schultyp besucht haben. Barrierefreie Bildung von Anfang an ist der Schlüssel für ein gelingendes Leben und die beste Prävention gegen Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg. Deshalb werde ich das Engagement für eine qualitative und quantitative Verbesserung der Unterdreijährigenbetreuung und des Offenen Ganztagsschulbetriebs forcieren und den Übergang aus dem dreigliedrigen System in neue Schulformen unterstützen. Spracherwerb ist in einer globalisierten Gesellschaft der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb müssen wir internationale Schulen in Köln fördern. Kölns harte Standortfaktoren können sich sehen lassen: Forschungs- und Hochschullandschaft, verkehrsgünstige Lage im Herzen Europas, moderner Industriestandort, Handelsmetropole, zukunftsträchtige Branchen von der Versicherungswirtschaft bis zur Medien- und Kreativwirtschaft. Trotzdem können wir uns hier nicht auf erworbenen Lorbeeren ausruhen und unsere Augen vor Problemen wie der hohen Langzeitarbeitslosigkeit
verschließen. Deshalb werde ich nicht nur das Standortmarketing weiter verstärken, Flächenmanagement und Bestandspflege systematisieren. Mein Ziel ist es auch das kommunale Bündnis für Arbeit als Koordinationsgremium für die regionale Arbeitsmarktförderung zu stärken und auszubauen. Wir müssen aber auch auf unsere weichen Standortfaktoren achten: Dazu gehört auch unser reichhaltiges Kulturangebot mit Museen, Galerien, städtischen und freien Bühnen. Ich bin deshalb sehr froh, dass der Rat der Stadt Köln die Sanierung der Oper und den Neubau des Schauspielhauses beschlossen hat.

Meine Damen und Herren, der internationale Wettbewerb der Städte und Regionen ist inzwischen knallhart. Innovation und Wissen sind der Schlüssel, um in diesem Wettbewerb mithalten zu können. Mit seinen 16 Hochschulen und vier Forschungszentren gehört Köln zu den herausragenden Standorten für Lehre und Forschung in Deutschland. Diese Potenziale möchte ich stärker als bisher zur Geltung bringen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass Wirtschaft und Wissenschaft sich enger verbinden, Investoren von den Hochschulen entwickelte Konzepte auch in Köln umsetzen und neue Hightechcluster bilden. Der ganze Bereich birgt enorme Chancen: In den wissenschaftlichen Einrichtungen unserer Stadt stehen Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro in den kommenden Jahren an. Allein in der Uniklinik sind Investitionen von über 350 Millionen Euro geplant, die Verlagerung der Fachhochschule in die Südstadt ist mit Investitionen zwischen 300 und 400 Millionen Euro verbunden. Damit ist die Branche Wissenschaft Investor Nummer 1 in der Stadt und soll auch so empfangen werden. Deshalb werde ich 2010 im städtischen Unternehmensservice eine spezielle Anlaufstelle für Investoren aus diesem Bereich einrichten.

Das Training für den Lauf in die Zukunft muss bereits heute beginnen, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Köln auch für die nächsten Generationen gut aufgestellt ist. Wir wissen bereits heute, dass unsere Stadtgesellschaft dann grundlegend anders aussehen wird: sehr viel bunter, sehr viel älter, mit einer Mehrheit von Menschen mit Migrationshintergrund, in einem Klima, das mindestens 2 Grad wärmer sein wird als heute. Wir ahnen als Rhein-Anlieger, was das bedeutet. Wir müssen uns bereits heute rüsten. Das heißt für mich: Jede Entscheidung heute für mehr, bessere und breitere Bildung für alle Kinder, jede Entscheidung für eine klimaorientierte und energiesparende Stadtentwicklung, jede Entscheidung für gelungene Integration ist eine Konditionseinheit für den erfolgreichen Wettbewerb der Zukunft. In dieser Situation von großartigen Chancen, ungewöhnlichen Risiken und großen Herausforderungen lade ich Sie ein: Gehen Sie mit mir auf diesen Lauf! Ich will all mein Können und all meine Energie dafür einsetzen.

Der von mir sehr geschätzte Schauspieler Peter Ustinov hat einmal gesagt: „Es ist von grundlegender Bedeutung, jedes Jahr mehr zu lernen als im Jahr davor!“ Orientieren wir uns an diesem Ziel. Das Jahr 2009 war das Jahr des Umbruchs – lassen Sie uns gemeinsam das Jahr 2010 zu einem Jahr der Taten machen!"

Bitte beachten Sie das die kursiv gesetzten Zeilen der Originaltext der Neujahrsansprache des Kölner Oberbürgermeisters ist und kein Text der Redaktion.

[ag]