Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Olaf Scholz, Bundeskanzler, Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen, auf dem Weg zur Pressekonferenz am 13. Dezember 2023 im Bundeskanzleramt in Berlin. | Foto: IMAGO / Metodi Popow

Köln/Berlin | red, dts | Die Bundesregierung und ihre drei führenden Köpfe Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner haben sich auf einen Kompromiss zum Bundeshaushalt verständigt. Die Zusammenfassung und Stimmen.

Ampel hält sich neuen Notlage-Beschluss im kommenden Jahr offen

SPD, Grüne und FDP wollen die Schuldenbremse im kommenden Jahr einhalten, halten sich die erneute Ausrufung einer Notlage aber offen. „Sollte sich die Situation durch Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärfen, etwa weil die Lage an der Front sich verschlechtert, weil andere Unterstützer ihre Ukraine-Hilfe zurückfahren oder weil die Bedrohung für Deutschland und Europa weiter zunimmt, werden wir darauf reagieren müssen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochmittag in Berlin.

Um vorbereitet zu sein, habe man bereits miteinander vereinbart, in einer solchen Lage dem Bundestag einen „Überschreitungsbeschluss“ vorzuschlagen, so der Kanzler.

Scholz nannte auch Details, wie viel Geld im kommenden Jahr gespart werden soll: Im Kernhaushalt für das Jahr 2024 werde man „rund 17 Milliarden Euro erwirtschaften“, sagte er. „Das machen wir insbesondere, indem wir klimaschädliche Subventionen abschaffen, die Ausgaben einzelner Ressorts etwas absenken und Bundeszuschüsse verringern.“ Das zentrale Instrument des Bundes für den klimaneutralen Umbau des Landes bleibe unterdessen der Klima- und Transformationsfonds, die Ausgaben des Fonds im nächsten Jahr verringere man allerdings um zwölf Milliarden Euro.

„Im Finanzplanungszeitraum bis 2027 kürzen wir um etwa 45 Milliarden Euro. Der KTF hat damit aber immer noch ein sehr hohes Gesamtvolumen von 160 Milliarden Euro“, so Scholz. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ergänzte, dass Beiträge, die man in den KTF gepackt hatte, wieder raus nehme.

„Das betrifft die Bundesbahn und sie wird anders finanziert, aber sie wird finanziert“, sagte er. Es sei keine Einsparmaßnahme. „Wir werden die Einnahmen des KTFs steigern, indem wir auf den CO2-Pfad der GroKo zurückkehren“, fügte Habeck hinzu.

„Wir werden umschichten im KTF und wir werden einsparen bei Bereichen, und da bin ich den Kollegen sehr dankbar aus dem Bau- und dem Verkehrsministerium“, so Habeck. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) konkretisierte unterdessen, dass man „klimaschädliche Subventionen“ im Umfang von drei Milliarden Euro abbaue. „Dazu gehört jetzt unter anderem die im Koalitionsvertrag vorgesehene Plastikabgabe.“

Hintergrund der Haushaltskrise ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das Vorhaben gekippt wurde, 60 Milliarden Euro nicht verbrauchte Corona-Hilfen für Klimamaßnahmen umzuwidmen. Auch andere Programme des Bundes wie der Krisenfonds WSF waren von dem Urteil betroffen. Seit mehreren Tagen hatten Scholz, Lindner und Habeck über eine Lösung für die Krise beraten.

Ampel plant innerdeutsche Kerosinsteuer

Die Ampel-Koalition will im Rahmen ihrer Einigung auf den Bundeshaushalt 2024 offenbar eine Kerosinsteuer auf innerdeutsche Flüge einführen. Das berichten am Mittwoch mehrere Medien übereinstimmend. Die Meldungen sorgten umgehend für scharfe Kritik beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL): „Bereits heute hängt Deutschland in der Wiederbelebung des Luftverkehrs seit der Pandemie deutlich hinter fast allen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern zurück“, sagte BDL-Präsident Jost Lammers.

„Die staatlichen Standortkosten in Deutschland sind bereits jetzt die höchsten im europäischen Vergleich.“ In dieser Situation verteuere die Bundesregierung mit dem „nationalen Alleingang einer innerdeutschen Kerosinbesteuerung“ den Zubringerverkehr zu deutschen Drehkreuzen und verschiebe damit Verkehre ins europäische und internationale Ausland. „Diese Entscheidung bedeutet ein faktisches Förderprogramm für die Drehkreuze am Bosporus und am Persischen Golf.“

Darüber hinaus schwäche die Bundesregierung mit dieser erneuten Erhöhung der staatlichen Standortkosten die Luftverkehrsanbindung der wichtigen deutschen Wirtschaftsstandorte, so Lammers.

Finanzministerium sieht keinen „Sparhaushalt“

Das Bundesfinanzministerium sieht im Kompromiss für den Haushalt keinen „Sparhaushalt“ – trotz deutlicher Kürzungen. So sollen etwa im Klima- und Transformationsfonds (KTF) bis zum Jahr 2027 45 Milliarden Euro eingespart werden, hieß es am Mittwochnachmittag auf Ministeriumskreisen. Im kommenden Jahr werden die Programmausgaben um 12,7 Milliarden Euro reduziert.

Zudem wird der CO2-Preis dann 45 Euro betragen. Trotz der Einsparungen gehe man die strukturellen Probleme im Bundeshaushalt an und leite die „notwendige qualitative Konsolidierung“ ein. Zur Auflösung von Handlungsbedarfen setze man auf eine „strikte Haushaltskonsolidierung“.

„Die Regelgrenze der Schuldenregel halten wir ein. Das gilt auch mit Blick auf zukünftige Herausforderungen“, hieß es weiter. Es gebe keinen Automatismus zu weiteren Überschreitungsbeschlüssen.

Die Unterstützung für die Ukraine leiste man aus dem Bundeshaushalt. An Maßnahmen wie der Senkung der Stromsteuer für Industrieunternehmen (drei Milliarden Euro) und dem Wachstumschancengesetz (über sechs Milliarden Euro) halte man fest. Der „Bürgergeld-Bonus“ (0,25 Milliarden) wird gestrichen.

Dafür werden die Mittel für die Arbeitsmarktintegration von Ukrainern ausgeweitet (0,5 Milliarden). Zudem wird die Wohngeldveranschlagung (0,27 Milliarden in 2024) abgesenkt sowie der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung (0,6 Milliarden). Dabei werde ein Rentenniveau von 48 Prozent festgelegt.

Weiter wird die Vergünstigung auf die Kraftfahrzeugsteuer für die Forst- und Landwirtschaft (0,48 Milliarden jährlich) und der Absenkungsmechanismus bei der Luftverkehrsabgabe (0,07 Milliarden in 2024, ab 2025 0,3 Milliarden Euro pro Jahr) entfallen. Bei der Energiesteuer werden Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel abgeschafft. Außerdem soll die sogenannte EU-Plastikabgabe nicht mehr aus dem Bundeshaushalt, sondern von den Verursachern bezahlt werden.

Die Stimmen zur Einigung aus der Politik

Union begrüßt Ampel-Entscheidung zur Schuldenbremse

Die Union begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung, die Schuldenbremse im Haushalt 2024 zunächst nicht aussetzen zu wollen. „Bei einem Gesamtvolumen von weit mehr als 400 Milliarden Euro dürfte es kein Hexenwerk sein, 17 Milliarden einzusparen“, sagte Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). „Unsere Kinder werden es uns später einmal danken, wenn die Schuldenbremse eingehalten wird.“

Zugleich forderte der CDU-Politiker die Ampel auf, in der weiteren Haushaltspolitik klare Prioritäten zu setzen: Der Ampel müsse auch weiterhin klar sein, „dass es nicht mehr reicht, die Gräben zwischen den Koalitionären einfach mit Geld zuzuschütten“, sagte Frei. Teile der Einigung der Ampelkoalition auf den Bundeshaushalt 2024 stießen unterdessen bei den Kommunen auf scharfe Kritik: „Es ist gut, dass die Koalition sich nun auf einen Haushalt 2024 verständigt hat. Die zentralen Probleme sind damit leider nicht gelöst“, sagte Gemeindebunds-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Rheinischen Post“.

Die Einsparungen würden gerade in wirtschaftlich schwachen Zeiten auch nachteilige Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. „Das gilt zum Beispiel für den Absatz von Elektroautos, wenn die Prämien wie angekündigt auslaufen“, kritisierte Landsberg. Andere Länder, wie zum Beispiel die USA, würden hier einen ganz anderen Weg gehen.

„Immerhin hat man sich eine Hintertür offen gelassen und eine Überprüfung für 2024 angekündigt, ob die Schuldenbremse im Hinblick auf den Ukraine-Krieg nicht doch noch einmal ausgesetzt werden muss“, sagte Landsberg. „Völlig unklar bleibt nach wie vor, woher die enormen Mittel langfristig kommen sollen, um die Transformation der Wirtschaft und die Verbesserung der bröckelnden Infrastruktur dauerhaft zu finanzieren. Mit den jetzt beschlossenen Vorgaben wird es schwieriger, die wichtigen Ziele wie Klimaanpassung und Klimaschutz sowie Infrastrukturverbesserung zu erreichen“, sagte er.

„Am Ende wird an einer Reform der Schuldenbremse zugunsten von Klimaschutz, Transformation und Infrastruktur kein Weg vorbeigehen. Man kann nur hoffen, dass alle Beteiligten die parteipolitischen Schützengräben verlassen und es im nächsten Jahr gelingt, die Weichen neu und besser zu stellen.“

Merz wertet Haushaltseinigung „allenfalls als Formelkompromiss“

CDU-Chef Friedrich Merz wertet die Haushaltseinigung der Ampelkoalition „allenfalls als Formelkompromiss“. Für eine abschließende Bewertung sei es zwar noch zu früh, aber es sei klar, dass es sich um „finanzpolitische Trickserei“ handele, sagte Merz am Mittwoch im Bundestag als Antwort auf eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Es sei bereits absehbar, dass die Ampelkoalition in den nächsten Monaten mit Hinweis auf die Lage in der Ukraine eine Notlage ausrufen wolle: „Sie geben das Geld aus, was sie für die gesamten Transferleistungen in den Arbeitsmarkt aufwenden wollen und dann werden sie uns zur Mitte des Jahres sagen: ‚Tja, das ist nun alles unvorhergesehen gewesen, was da in der Ukraine auf uns zukommt‘“, so Merz.

Es sei eine „vorhersehbare Notlage“, die die Ampel spätestens zur Mitte des Jahres erklären werden müsse. „Diesen Trick lassen wir ihnen nicht durchgehen“, so der CDU-Politiker. Scholz hatte die Einigung zuvor verteidigt und angekündigt, dass der Haushalt in der ersten Sitzungswoche 2024 auf der Tagesordnung stehen soll.

Spahn wirft Ampel „Wortbruch“ vor

Unionsfraktionsvize Jens Spahn wirft der Bundesregierung vor, mit der Einigung im Haushaltsstreit die Menschen zu stark zu belasten. „Dass die Ampel den CO2-Preis nun nochmals erhöht, ohne durch das versprochene Klimageld zu entlasten, ist ein Wortbruch“, sagte Spahn der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Statt wirklich zu sparen, wolle sich die Ampel zuallererst im Portemonnaie der Bürger bedienen.

„Dabei stehen die Menschen angesichts der Rekordinflation finanziell schon lange mit dem Rücken an der Wand.“ Die Verunsicherung im Land werde mit dieser Einigung „nicht kleiner“, sagte Spahn der NOZ. Dafür seien zu viele Fragen noch offen. Auch sei weiter unklar, wann genau der Haushalt wirklich beschlossen werde.

„Eine Regierung, die für so ein Paketchen 200 Stunden lang mit sich selbst verhandeln muss, ist selbst das Problem“, so der CDU-Politiker.

Wagenknecht: Haushaltskompromiss geht „auf Kosten der Bürger“

Die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die im Januar eine eigene Partei gründen will, hat die Einigung der Ampel-Koalition zum Haushalt heftig kritisiert. „Die Einigung lautet unterm Strich: Alles wird noch teurer“, sagte Wagenknecht dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Das sei „ein beschämender Kompromiss auf Kosten der Bürger“.

Die noch stärkere Anhebung des CO2-Preises sei ein sozialer Skandal und in Wahrheit eine milliardenschwere Steuererhöhung, die die Menschen ärmer mache und die Inflation anheizen werde, sagte Wagenknecht, die sich am Dienstag mit neun weiteren einstigen Linksparteimitgliedern zu einer neuen Gruppe im Bundestag formiert hat. „Die Ampel lässt Otto Normalverbraucher die Haushaltslöcher stopfen und die Freiräume dafür schaffen, noch mehr Waffen an die Ukraine zu liefern“, sagte Wagenknecht und fügte hinzu: „Das ist völlig inakzeptabel.“

NRW-Wirtschaftsministerin begrüßt Haushaltseinigung

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) begrüßt die Haushaltseinigung im Bund und fordert nun eine Kraftwerksstrategie von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Es ist eine gute Nachricht, dass die Bundesregierung ihren Haushaltsstreit hat beilegen können, das Land, die Menschen und die Wirtschaft brauchen endlich Klarheit und Perspektive“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). „Mit der in der Ampel gefundenen Einigung beweist die Bundesregierung Handlungsfähigkeit – auch wenn ich mir das sehr viel früher gewünscht hätte.“
Sie sei Robert Habeck für seinen Einsatz dankbar, ergänzte Neubaur. „Er hat deutlich gemacht, dass wir unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren. Für den Kohleausstieg 2030 bedeutet dies aber auch, dass der Bund nun mit der Kraftwerksstrategie für Klarheit sorgen muss“, so die Ministerin.

„Wir gehen weiterhin fest davon aus, dass diese zeitnah veröffentlicht wird und so notwendige Investitionen angereizt werden, damit wasserstofffähige Gaskraftwerke unter anderem im Rheinischen Revier zur Aufrechterhaltung der Energieversorgungssicherheit Realität werden.“ Zudem verteidigte sie die absehbaren Preissteigerungen beim Tanken und Heizen. Mit der Anhebung des CO2-Preises zum 1. Januar 2024 auf 45 Euro pro Tonne gehe die Bundesregierung auf das zurück, was die Große Koalition bereits beschlossen hatte.

„Ich will nicht verhehlen, dass darin eine Herausforderung für Industrie, Wirtschaft, aber auch Bürgerinnen und Bürger liegt“, sagte sie der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Die Entlastungen, die mit dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden sollen, hätten aber aller Voraussicht nach Bestand. Eigentlich sollte der CO2-Preis, mit dem fossile Energien aus ökologischen Gründen verteuert werden, zum Jahreswechsel nur auf 40 Euro je Tonne steigen.

Aktuell liegt er bei 30 Euro. Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff warnte vor der Zusatzbelastung für den „industriellen Mittelstand“. Auch der Wegfall des geplanten 5,5 Milliarden schweren Bundeszuschusses zu den Entgelten für das Stromnetz wird sich nach Einschätzung von Ministerin Neubaur bei Verbrauchern und Firmen bemerkbar machen.

Das wird nicht nur die Industrie treffen, sondern letztlich alle Stromverbraucher. „Die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber werden sich im nächsten Jahr voraussichtlich mehr als verdoppeln“, räumte die Grünen-Politikerin ein. Neubaur appellierte an die Union, 2024 eine nochmalige Ausnahme von der Schuldenbremse für die Fortsetzung der Ahrtal-Fluthilfe nicht erneut vor dem Bundesverfassungsgericht zu beklagen.

„Es war doch vollkommen klar, dass die Beseitigung der Folgen dauern wird. Die Politik hat damals zugesagt, die Menschen vor Ort nicht allein zu lassen. Auf dieses Versprechen müssen sie sich verlassen können, es wäre für mich komplett unverständlich, sollte sich die Union im Bund jetzt hier aus der Verantwortung stehlen“, so Neubaur.

Karlsruhe hatte die milliardenschwere Umwidmung von akuten Krisenkrediten für andere Zwecke verboten und die Bundesregierung damit in Schwierigkeiten gebracht. Nach dem Ende des Haushaltsstreits schloss die grüne Vize-Ministerpräsidentin nicht aus, dass NRW in der Länderkammer sogar den Weg für das Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) freimachen könnte, das Unternehmen mit Steuersenkungen stimulieren soll: „Mit der Einigung beim Bundeshaushalt haben wir auf jeden Fall eine veränderte Lage. Wir werden das innerhalb der Koalition klären.“

Neubaur machte deutlich, dass sie die nordrhein-westfälische CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst deutlich anders sieht als die Bundespartei von Friedrich Merz, der am Mittwoch erneut die Ampel-Koalition in Berlin heftig attackiert hatte. Auf die Frage, ob die Wüst-CDU und die Merz-CDU für sie zwei Paar Schuhe seien, sagte die Grünen-Politikerin: „Ich würde eher von zwei komplett verschiedenen Kleidungsstücken sprechen.“

Die Stimmen aus der Wirtschaft und von Experten

Wirtschaftsweisen-Chefin bewertet Haushaltseinigung zurückhaltend

Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich zurückhaltend über die Haushaltseinigung der Ampelkoalition geäußert. „Sinnvoll ist in jedem Fall, für konkrete Ausgabenbedarfe wie die Hilfen für die Flutkatastrophe im Ahrtal und für Ukraine-Hilfen die Begründung einer Notfallsituation offenzuhalten“, sagte Schnitzer der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). Dass sich die Ampel nicht schon jetzt generell für das Aussetzen der Schuldenbremse entschieden hat, bedauerte die Münchner Ökonomin: „Es ist vielleicht nicht überraschend, dass sich die Koalitionspartner nicht darauf verständigen konnten, für 2024 noch einmal eine Notfallsituation zu erklären. Dabei würde es durchaus Gründe dafür geben. Die Sorge vor einer neuerlichen verfassungsrechtlichen Überprüfung war vermutlich zu hoch. Heikel ist, wenn der Haushalt 2024 vor allem dadurch ausgeglichen werden kann, dass die letzten Rücklagen aufgebraucht werden.“

Das bedeute, dass die Finanzierungssituation für 2025 noch problematischer werde als für 2024, sagte Schnitzer. „Wenn, wie angekündigt, einige klimaschädliche Subventionen abgeschafft würden, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die angekündigte Anhebung des CO2-Preises beim Tanken und Heizen mit fossilen Energien ist zu begrüßen, weil sie den Schritt Richtung Klimaneutralität fördern und den Subventionsbedarf für klimafreundliches Verhalten reduzieren würde“, fügte sie hinzu.

Deutlich negativer über die Einigung äußerte sich Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU): „Diese Einigung ist eine üble Mogelpackung“, sagte der CDU-Politiker dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Nicht Einsparungen und Umschichtungen stehen im Vordergrund, sondern massive neue Abgabenbelastungen für Bürger und Unternehmen.“ Middelberg warnte vor einer Anhebung des CO2-Preises ohne gleichzeitige Entlastungen.

„Vor allem die Steigerung des CO2-Preises ohne irgendeinen Ausgleich wird viele hart treffen.“

Wirtschaftsweise Grimm drängt auf Einführung von Klimageld

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm appelliert an die Bundesregierung, zum Ausgleich für die Erhöhung der geplanten CO2-Bepreisung das bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld für die Bürger einzuführen. „Das wäre eine sehr wichtige Maßnahme, um Akzeptanz für den Klimaschutz zu schaffen“, sagte sie dem Fernsehsender „Welt“. Die im Zuge der des Anstiegs der CO2-Bepreisung zu erwartenden Preissteigerungen sollten kompensiert werden, „indem man den Menschen die Einnahmen aus den CO2-Preisen zurückgibt“.

Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen, für die diese Härten besonders schwer abzufedern seien, die würden davon besonders profitieren. Denn sie hätten in der Regel einen sehr kleinen CO2-Fußabdruck, würden pro Kopf aber genauso viel zurückbekommen wie alle anderen. Grimm weiter: „Hier muss man noch nachschärfen. Das Klimageld muss auf jeden Fall mit Blick auf die Zukunft wieder in den Mittelpunkt der Diskussion geraten.“ Grundsätzlich hält die Wirtschaftswissenschaftlerin den Weg über die CO2-Bepreisung für richtig und hätte auch nichts gegen einen stärkeren Anstieg unter der Voraussetzung einer Kompensation einzuwenden: „Eigentlich hätte man auch über den Preis, den mal die Große Koalition beschlossen hat, hinausgehen können und die Preise noch stärker ansteigen lassen.“

DIHK fürchtet Anstieg der Strompreise um bis zu 20 Prozent

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet nach den Haushaltsentscheidungen der Ampelkoalition mit einem sprunghaften weiteren Anstieg der Strompreise für die deutsche Wirtschaft. „Wir haben unterschiedliche Fall-Konstellationen durchgerechnet und kommen auf Steigerungen der Stromrechnung um zehn bis 20 Prozent“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). „Das ist nicht nur eine zusätzliche Konjunkturbremse zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, es ist auch das falsche Signal an viele Betriebe, die etwa ihre Produktion oder ihren Fuhrpark von fossiler Energie auf Strom umstellen wollen – zumal gleichzeitig hier bei Diesel und Kerosin die Kosten ebenfalls steigen“, warnte Adrian.

Es sei zwar gut, dass die Bundesregierung jetzt eine Lösung für den Haushalt 2024 vorlegen könne, „unser Renommee als Wirtschafts- und Investitionsstandort hätte sonst international Schaden genommen“, sagte der DIHK-Chef. „Allerdings tragen viele Punkte zu einer Kostensteigerung für die Unternehmen in Deutschland bei. Dazu gehört vor allem die Ankündigung, die Übertragungsnetzentgelte nicht weiter zu bezuschussen. Das führt bei Betrieben aus nahezu allen Branchen und Größenordnungen zum sprunghaften Anstieg der Strompreise“, sagte er. Immerhin solle die EEG-Umlage weiter aus dem Staatshaushalt finanziert werden und die Stromsteuer für produzierende Unternehmen sinken. „Sonst wäre der negative Effekt noch stärker“, sagte Adrian.

„Viele Einzelmaßnahmen lösen durch Zweitrundeneffekte Folgewirkungen und Kostenbelastungen in der Gesamtwirtschaft aus. Deshalb sollte die Koalition bei den nun anstehenden Einzelberatungen noch mal genau hinschauen und den oft beschworenen Praxis-Check zu den wirtschaftlichen Folgen vornehmen.“

VDA-Chefin sieht in Haushaltsplänen Schaden für Autoindustrie

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie VDA, Hildegard Müller, hat den Haushaltskompromiss der Ampelregierung scharf kritisiert. „Die Pläne sind eine vertane Chance für Wohlstand und Klimaneutralität“, sagte sie am Mittwoch dem TV-Sender „Welt“. Für die Autoindustrie sei nichts Positives dabei und für die Verbraucher auch nicht.

Besonders den Wegfall der Zuschüsse zum Netzentgelt findet Müller problematisch: „Die Auswirkungen beim Strompreis sind besonders dramatisch. Die versprochene Entlastung kommt nicht.“ Das belaste Industrie und Verbraucher.

„Ladestrom wird weiter teuer bleiben und das ist keine gute Nachricht.“ Das angekündigte schnellere Ende der E-Auto-Prämien verunsichere die Kunden, warnt Müller. „Vor allem haben wir ja noch keine Klarheit, wie das abgewickelt werden soll. Die Menschen haben im Vertrauen auf den Bonus, der ja noch vorhanden ist, ein Auto bestellt und müssen nun eventuell damit rechnen, diesen Bonus eventuell nicht ausbezahlt zu bekommen. Da ist eine Unsicherheit entstanden.“ Dabei gehe es für die Autokäufer um „mehrere tausend Euro“, so Müller.

Überhaupt widersprächen die Haushaltspläne dem Bekenntnis der Bundesregierung zu mehr E-Mobilität, kritisiert Müller. Man habe sich beim Mobilitätsgipfel eigentlich darauf verständigt, „dass wir alle alles tun müssen, damit das Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 gelingt“, so Müller. „Die Beschlüsse des Haushalts weisen leider in die gegenteilige Richtung. Der Umweltbonus wird gekappt, die Strompreise bleiben teuer.“ Und auch bei den Autofahrern mit Verbrennern zeichne sich eine Kostensteigerung ab, die der Verband gerade noch konkret durchrechne, so Müller. „De facto wird das Autofahren teurer. Wir müssen jetzt schauen, ob das nicht gerade Pendler belastet, die oftmals in ländlichen Regionen leben, darauf angewiesen sind, ihren Arbeitsplatz erreichen zu können.“ Deshalb sehe der Verband die geplante höhere CO2-Abgabe „an dieser Stelle sehr kritisch“, so Müller. Doch nicht nur die Autofahrer und Kunden sieht Müller als Leidtragende der Haushaltspläne – auch die Autoindustrie und der Standort Deutschland würden nicht wie erhofft gestärkt: „Unsere Hoffnung war, dass wir mit den Haushaltsplänen auch endlich Wettbewerbsfähigkeit in der Standortfrage herstellen – Deutschland ist zu teuer in vielen Faktoren, sei es der Strompreis, sei es auch das Thema Arbeitskosten und vieles mehr. Insofern ist das heute eine vertane Chance für Wachstum und für Klimaneutralität.“ Insgesamt verliere der Standort Deutschland durch die Mischung von hohen Stromkosten, Steuern, Bürokratie und hoher Abgabelast an Attraktivität: „Der Standort Deutschland ist zunehmend international nicht mehr wettbewerbsfähig.“ Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erwartet eine spürbare Belastung der Autofahrer durch die von der Ampel geplante stärkere Anhebung des CO2-Preises.

„Es werden schon einige Cent sein im Tankbereich“, sagte er dem TV-Sender „Welt“. Linnemann begründete seine Erwartung damit, dass die Regierung damit ein Signal an die Märkte gebe, die sich darauf eingestellt hätten, dass der CO2-Preis jedes Jahr um zehn Euro steige. Linnemann weiter: „Jetzt geht man um 20 Euro hoch. Da kann ich mir schon vorstellen, dass der oder andere das auch ausnutzt.“ Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese erwartet ebenfalls Preiserhöhungen bei Benzin und Diesel: „Es wird an der Tankstelle eine Auswirkung definitiv geben.“ In welchem Ausmaß könne man aber heute noch nicht sagen, da „nicht nur die CO2-Abgabe für den Spritpreis zuständig ist“.

Der FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer vertrat die Auffassung, dass konkrete Preissteigerungen seriös nicht benannt werden könnten. Meyer verwies darauf, dass die Ampel damit zu den von der GroKo beschlossenen Steigerungen des CO2-Preises zurückkehre, räumte aber ein: „Wir hätten uns gewünscht, dass wir das nicht müssen.“

Sozialverband VdK fordert schnelle Umsetzung des Klimageldes

Nach der Ampel-Einigung beim Haushalt 2024 hat die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, eine rasche Einführung des Klimageldes gefordert. „Nicht an sozialen Standards rütteln zu wollen und Einsparungen im Sozialen von 1,5 Milliarden anzukündigen, ist aus meiner Sicht nicht vereinbar, was sich genau hinter der besseren Treffsicherheit verbirgt, bleibt abzuwarten“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe).

„Darauf zu wetten, dass demnächst mehr geflüchtete Menschen aus der Ukraine arbeiten werden und so Kosten gespart werden, ist noch nicht gesagt. Positiv ist das Festhalten an der Kindergrundsicherung“, sagte die VdK-Präsidentin. „Nur die Erhöhung des CO2-Preises ist fatal und wäre ohne Klimageld unsozial. So ist das Klimageld ein Muss, damit Menschen, die jetzt schon wenig haben, nicht noch weniger haben werden“, fordert Bentele.
„Warum spricht die Regierung insgesamt nur von Einsparungen und nicht von dringend notwendigen Erhöhungen der Einnahmen? Eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer wäre mein Mittel der Wahl“, sagte die VdK-Präsidentin.

Das sagen NGOs

Fridays for Future: Haushaltseinigung „schlechter Scherz“

Nach der Haushaltseinigung der Bundesregierung haben Klimaschutzaktivisten von Fridays for Future Deutschland kritisiert, dass grundsätzliche finanzpolitische Reformen ausblieben und der Abbau klimaschädlicher Subventionen zu gering ausfalle. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte für die Regierung Anlass sein müssen, ihre Finanzpolitik grundsätzlich an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, stattdessen wurschtelt sich die Regierung jetzt mit Klein-klein-Lösungen durch ein weiteres Jahr“, sagte Pauline Brünger von Fridays for Future Deutschland der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). Das gehe langfristig nicht auf.

„Um Lebensgrundlagen zu erhalten, jungen Generationen eine Zukunft zu geben und Menschen sozial abzusichern, muss in den nächsten Jahren massiv viel Geld investiert werden“, sagte die Klimaaktivistin weiter. Die Regierung und die Opposition hielten stattdessen ideologisch an der Schuldenbremse fest und verweigerten das von Fridays for Future geforderte Sondervermögen für Klima-Investitionen. „Jedes Jahr werden dicke Dienstwagen und klimaschädliche Flüge mit Steuergeldern bezuschusst. Dass die Regierung daran festhält, während das Geld für den Ausbau von Bus und Bahn fehlt, zeigt völlig irre Prioritäten. Gemessen an der Tatsache, dass aktuell jährlich 65 Milliarden in die Finanzierung von klimaschädlichen Subventionen fließen, ist eine Kürzung von drei Milliarden ein schlechter Scherz“, sagte Brünger.