Wissenschaftliche Erhebung
Unter der wissenschaftlichen Leitung der Leipziger Wissenschaftler Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler ist nun die Nachfolgestudie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden, die die Frage nach den Ursachen für rechtsextreme Einstellungen vertieft behandelt. Die neue Studie "Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen" ist eine qualitative Erhebung, die in Gruppendiskussionen Personen erneut und ausführlicher befragt hat, die an der Fragebogenuntersuchung 2006 teilgenommen haben. Dabei wurden über das gesamte Bundesgebiet verteilt insgesamt zwölf Gruppendiskussionen mit Personen durchgeführt, die sich besonders stark rechtsextrem, besonders ausgeprägt nicht-rechtsextrem oder die besonders häufig die mittlere Antwortmöglichkeit "teils-teils" geäußert haben. Die Auswertung dieser Gruppendiskussionen ermöglicht Antworten auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Mensch rechtsextreme bzw. demokratische Einstellungen entwickelt.

Die Studie kommt zur Erkenntnis, dass Rechtsextremismus auf dem Boden von Angst- und Ausgrenzungserfahrungen besonders gut gedeiht. Hier finden Sie zentrale Ergebnisse der Studie in einer Kurzzusammenfassung. Das fast 500 Seiten starke Buch kann als PDf auf der Homepage der Friedrich-Ebert-Stiftung heruntergeladen werden.

Ergebnisse:
> Ausländerfeindliche Ressentiments werden mit besorgniserregender Selbstverständlichkeit geäußert, auch von Personen die in der ersten Studie nicht durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallen waren.

> Die Befragten empfanden einen hohen gesellschaftlichen Normierungsdruck. Die Wissenschaftler folgern daraus, dass gerade Migranten und Arbeitslose unter Anpassungsdruck geraten und ausgegrenzt werden.

> Alarmierend ist das Ergebnis zum Demokratieverständnis. Es herschen  Unkenntnis über die Möglichkeiten zur Mitgestaltung der Demokratie vor. Herausgefunden haben die Wissenschaftler, dass diese Unkenntnis zu einer "alarmierenden" Geringschätzung des demokratischen Systems führt. Demokratie wird nur insofern akzeptiert, als sie individuellen Wohlstand garantiert.

> Autoritäre Denkstrukturen und Gewalterfahrungen haben immer noch eine hohe Bedeutung bei der Ausbildung von rechtsextremen Denkstrukturen.

> In allen Generationen hat die nationalsozialistische Vergangenheit eine große Bedeutung fanden die Wissenschaftler heraus: eine Verweigerung der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit befördert rechtsextreme Einstellungen, eine sowohl inhaltliche als auch emotionale Auseinandersetzung hemmt rechtsextreme Einstellungen.

Die "narzistische Plombe"
Dass rechtsextremes Gedankengut seit dem Nationalsozialismus mehr als ein halbes Jahrhundert überdauert, erklärt Decker mit dem Bild der "narzisstischen Plombe". Der mit dem Wirtschafstwunder in Westdeutschland relativ schnell einsetzende Wohlstand habe weder Nachdenklichkeit noch für Scham Raum und Zeit gelassen. Eine ähnliche Entwicklung erhofften Ostdeutsche nach der Wende und beantworteten die Enttäuschung dieser Erwartung mit Politik- und Demokratieverdrossenheit. "Immer dann, wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf", so Decker. Die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit, auch dies ein Ergebnis der Studie, hat noch für die heutige Generation eine große Bedeutung: "Wir können sogar bei heute 20- bis 30jährigen feststellen, dass eine demokratische Einstellung häufig einhergeht mit einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Scham und Schuld über die familiären Verstrickungen zuläßt", so der Leipziger Professor.

Einfühlungsvermögen gefragt
Eine weitere Erkenntis ist das Menschen, die sich in andere hineinfühlen können oft nicht ausländerfeindlich sind. Dies wird so die Studie schon in der Kindheit angelegt. Raum für kindliche Phantasie und Platz schon als Kind einmal selbst etwas bewegen zu können, fördert die demokratische Grundhaltung.

Mehr über die Demokratie informieren
Als Lösungsansätze fordern die Macher der Studie mehr Partizipation den Menschen anzubieten. Diskurse bei denen Ungleichwertigkeit von Menschen behauptet wird, sollten gesellschaftlich geächtet werden. Die Erinnerungskultur an die nationalsozialistische Vergangenheit gehört sensibel gepflegt. Von den Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen, fordert man den politischen Bildungsauftrag zu erfüllen und Wissenslücken über das demokratische System zu füllen. Aber auch stärker über die Mitwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen in der Demokratie zu informieren.

Andi Goral für report-k.de / Kölns Internetzeitung