Hier steht Sie, nett, adrett, fortschrittlich. Der rote Pullover, die Kombination, mit Militaryhose von Sinn Lefers, das Haar stylisch so wie man das als modern bürgerliche Frau heute so trägt. Sie plaudert Sie zu. Ihr Mann leitend, ihr Kind musisch, das Haus = Jugendstil Altbau. Alles Paletti. Sie selbst gut gebildet, Seneca zitierend, zieht Sie Ihre Bahnen durch den Erfrischungsraum = heute Salon, das Kölner Schauspielhauses.


 


Wir, das Publikum, sitzen mittendrin, in bequemen Ledersesseln, süffeln Rotwein, Prosecco und dürfen an den Tischen mit Aschenbecher rauchen. Fühlen uns angesprochen, lachen bei Oda Pretzschner´s (= Schauspielerin) überspitzten emotionalen Gesten, die in einer überkieksenden Stimme gipfeln und uns in die Welt der positiven Wirkweise von Drogen entführt. Lebensoptimierung könnte man den Drogenkonsum nennen. Wir, wir wollen gerne Ihr neunjähriger Sohn sein, der, hat Muttern sich Exstasy Pillen geschmissen, gemeinsam mit ihr baden darf. Sich mit Ihr durch den Schaum gräbt und an Ihrem Busen Ruhe findet.


 


DIA-Projektion, wissenschaftliches, allumfassend, aber positiv die Hardfacts zu den Drogen, Ihren Wirkweisen und Nebenwirkungen, fehlt gerade noch der Kommentar „fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Oda Pretzschner wechselt hier virtous innerhalb des Bruchteils einer 10tel Sekunde von schnell wissenschaftlicher Rede in vorpubertär emotionalen Vortrag. Das Publikum schmunzelt. Grinst, bei Exstasy, so wie Gymnasiasten. Bei LSD so wie Easy Rider.


 


Am Bahnhof, sieht sie einen jungen Mann, der verliert ein Plastiktütchen. Sie gibt es ihm wieder. Darin Exstasy Pillen, Sie will eine. Scheiße zu langsam, der junge Mann ist weg. Aufeinandertreffen im Zuhause, der junge Mann vom Bahnhof ist der Lehrling des Dachdeckerbetriebes. Drogenkontakt auf der häuslichen Toilette. Zwei Klischees, beide altbekannt, das bürgerliche Leben und die bunte Welt der Drogen fangen an sich ineinander zu verweben. Später wird es eine Nuance kälter, die Drogen härter, der Lehrling ist weg, die Beschaffung der Drogen wird in den klassischen Raum an den Bahnhof verlagert, aber die bürgerliche Dame prostitiuiert sich lediglich im ehelichen Bett, sie kann reflektieren, mit dem angolanischen Dealer einen Tag bei McDonalds verplaudern.


 


Die gutbürgerliche Drogenkonsumentin gleitet ab, liegt mit Entzugserscheinungen auf der Bar des Erfrischungsraumes. Den jungen Damen die dort Prosecco trinken wird es mulmig… Wir werden gebeten uns unsere/ihre eigene Beerdigung vorzustellen…


 


Das Premierenpublikum am 4.Mai 2005 war begeistert… Standing Ovations für Oda Pretzschner, und die waren mehr als verdient. Das einfache Wort Überzeugend, verbunden mit dem Zusatz absolut, muss man Oda Pretzschner für Ihre schauspielerische Leistung attestieren. Authentisch spielt sie mitten in den Zuschauern zwei Rollen, die eine messerscharf, klar, schnell in der Sprache, die intellektuelle Rolle. Die zweite, die emotionale Rolle gelingt Ihr so gut, daß gäbe es die Brüche nicht, man manchmal der Überzeugung ist Oda Pretzschner plaudert nett wie eine gute Freundin mit einem über Drogen. Da wird es nah.


 


Das Stück des 1965 geborenen Autors Kai Hensel ein Spiegel. Mit überraschend genauer Beobachtungsgabe visualisiert das Stück die Klischees der modernen Welt und nutzt virtuos auch das Stilmittel der Interaktivität. In dieser konkreten Beschreibung liegt das wirklich groteske Entlarvende der Mittelstandsfrau die mit Drogen Ihr Leben aufpeppen will. Der Autor läßt uns nur in diesem einen Aquarium mitschwimmen, deren Bewohner er kennt, immerhin war er mal Werbetexter und sogar Chef einer Werbeagentur. Er blendet nicht das Straßenelend, als zweite Ebene ein. Und das ist gut so. Wir können einmal nicht fliehen, sondern müssen uns konkret mit einer Situation auseinandersetzen. Eine Perspektive, eine Reflektion, ohne eindimensional zu sein, gerade diese Reduktion und Öffnung ist die Stärke des Stückes. Wir können nicht zappen, sondern müssen hinsehen, hinhören, hineinfühlen.
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Tipp der report-K-Redaktion: Sehenswert
J Hingehen!


Beachten Sie, daß es im Erfrischungsraum nur begrenzt Karten gibt und besorgen Sie sich diese frühzeitig.


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Welche Droge paßt zu mir?


Kai Hensel


 


Schauspiel Köln


Spielzeit 2004/2005-05-05


 


Inszenierung: Ingrid Gündisch


Bühne: Gesa Klebe


Kostüme: Cyria Ahrweiler


Dramaturgie: Ruth Bader


 


Weitere Vorstellungen am 10. und 17. Mai um 20:00 Uhr und am 21. und 25. Mai um 22:00 Uhr