Köln | Als Kriegsfotografin begleitete Lee Miller im Zweiten Weltkrieg die US-Truppen von der Invasion bis Mitte 1945 quer durch Deutschland. Sie war dabei, als die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau befreit wurden. Ihre Fotos wurden zu Ikonen der Geschichte. Im Greven-Verlag ist jetzt mit „Lee Miller. Deutschland 1945“ ein Bildband erschienen, der diese Zeit in Erinnerung ruft.

Richard Bessel, emeritierter Geschichtsprofessor, führt in das Werk von Lee Miller ein. Beschreibt ihre distanzierte Arbeitsweise, ihr Verhältnis zu den Deutschen, gefangen im Widerspruch zwischen der schönen Landschaft, die von Schizophrenen bewohnt sind, wie sie in einem Beitrag für die „Vogue“ schreibt. Vor allem ordnet er die Bilder und deren Wirkung in die historischen Zusammenhänge ein, erinnert an „vergessene“ Grausamkeiten der Waffen-SS in den letzten Kriegswochen auf wie das Malmedy-Massaker an 70 US-Kriegsgefangenen und die wütenden Reaktionen der GIs – auch gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung. In diesem Umfeld bewegte sich die damals 45-jährige Miller

Eine ländliche Idylle leitet die Fotos von Ruinen ein

Das Buch beginnt mit einer ländlichen Idylle: Kleine Jungen treiben Gänse über eine Dorfstraße. Nur ein weißes Laken, das im Hintergrund aus einem Fenster hängt, lässt den historischen Hintergrund erahnen: Ein Land hat sich ergeben. Ähnlich das Motiv, mit dem die eigentliche „Städtereise“ beginnt: Köln-Weidenpesch, Neusser Straße, aus einem Fenster hängt eine weiße Fahne. Es folgen Bilder, die sich in die Stadtgeschichte Kölns eingeschrieben haben. Die zerstörte Hohenzollernbrücke oder Panzer vor dem Dom.

Aachen, Köln, Frankfurt am Main, Leipzig, Nürnberg, München, Berchtesgaden – nur einige Stationen ihrer Arbeitsreise durch Deutschland. Überall hält sie die Trümmerlandschaften fest, mal menschenleer, mal regt sich in ihnen das Leben. Frauen karren Gegenstände weg, die sie geborgen haben. Die Deutschen suchen Kontakt mit den GIs, gehen mit dem Kinderwagen spazieren, feiern Konfirmation, kochen inmitten der Ruinen und stehen Schlange. Und sie fotografiert die Leichen von Parteimitgliedern, die Selbstmord begingen.

Völkermord: „Deutsche Zivilbevölkerung wusste zweifellos Bescheid“

Miller zeigt befreite Zwangsarbeiterinnen, niederländische Häftlinge und englische Kriegsgefangene. GIs bei ihrer Arbeit als „Besatzer“ und in ihrer Freizeit. Und die Begegnung von US-amerikanischen und sowjetischen Truppen bei Torgau. Freundlich und entspannt fachsimpelt ein sowjetischer Kriegsfotograf mit Millers Kollegen David Scherman – noch weiß man nichts vom späteren Kalten Krieg.

Dazwischen aber ihre aufwühlendsten Fotos von den Schrecken in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau. „Ihr Schock war gewaltig“, schreibt Bessel. Miller hält Opfer und Täter für die Nachwelt fest. Macht Bilder von Leichenbergen und Menschen, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Ihr Bilder wurden unter der (hier übersetzten) Überschrift „Glauben Sie es. Lee Millers Depesche aus Deutschland“ in der Vogue vom Juni 1945 veröffentlicht. Dazu ein Zitat von ihr: „Deutsche Zivilbevölkerung wusste zweifellos Bescheid.“

Nur wer diese Gewalttaten heute noch verharmlos oder gar verleugnet, kann die Nazi-Diktatur als „Fliegenschiss“ abtun. So ist „Lee Miller – Deutschland 1945“ ein höchst aktuelles Buch geworden.

[infobox]Richard Bessel: „Lee Miller – Deutschland 1945“ – Greven Verlag, Köln 2018. Schutzumschlag, gebunden, 140 Seiten. 24,90 Euro

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Autor: ehu