Streetworker: "Es gibt keine Regeln mehr"
In der bis zum letzten Platz besetzten Kirche stritten die geladenen Gäste über Chancen und Möglichkeiten einerseits jugendlichen Gewalttätern in ein gewaltfreies Leben zu helfen und andererseits die Gesellschaft ausreichend vor  – minderjährigen – Gewalttätern zu schützen. Für den Kölner Raum belegt die neue Kriminalstatistik einen starken Anstieg von jugendlicher Gewalt und Gang-Kriminalität. Polizeidirektor Behrendes nimmt dieser Statistik die Schärfe, denn gerade infolge der, von der Kölner Polizei geleisteten sozialraumbezogenen Polizeiarbeit an den 250 Kölner Schulen, würden vermehrt Vergehen angezeigt. Dies bedeute nicht, dass die Jugendlichen gewalttätiger seien als noch vor 10 Jahren, sondern die Schüler hätten eher mehr Vertrauen zur Polizei und würden Gewalttaten tendenziell eher anzeigen. Allerdings lenkte Behrendes auch ein, dass die Schwere der angezeigten Vergehen größer sei. Sozialarbeiter Franco Clemens erklärt: "Es gibt keine Regeln mehr."



Vernachlässigte Macho-Jungs: "Für die Ehre"

Warum prügeln sich Jungen gegenseitig bis ins Krankenhaus, respektive in den Jugendknast? Was bringt einen Jungen dazu, auf Provokation mit roher Gewalt zu reagieren? Professor Pfeiffer erläuterte die Gründe für Jungenkriminalität: Gewalterlebnisse in der Familie, desinteressierte Eltern, kulturell bedingter Machoismus, ungehemmter Medienkonsum gekoppelt mit einem Gefühl von Chancen- und Perspektivlosigkeit führen zu Gewalttaten. Diese bilden oft eine letzte und einzige Möglichkeit für gesellschaftlich ausgegrenzte Jugendliche, Annerkennung zu finden. Natürlich führt dieses Annerkennung durch Gangmitglieder nicht sehr weit, gesellschaftlich gesehen festigen die Jungen  ihren Paria-Status durch Gewalttaten. Ein Teufelskreis. Arnd Henze befragte einige der anwesenden Jungen, warum und wie sie in Schlägereien verwickelt werden. Momo erklärt: "Wir kassieren halt für die Ehre und wir verteilen für die Ehre." Und die Ehre ist schon angegriffen, wenn einer nur eine dumme Bemerkung macht…

Kriminologe: "Frühzeitige Förderung von Familien"
Die anwesenden Gäste stellten verschiedenen Konzepte vor, die auffälligen Jungen in die Gesellschaft einzubinden. Behrendes setzt hauptsächlich auf sozialraumorientierte Polizeiarbeit, Kommunikation mit den Jugendlichen, und engmaschige Betreuung bereits auffällig gewordener Jungen. Dazu sei eine enge Vernetzung aller beteiligten – Schulen – Jugendämter – Streetworker – Polizisten – Eltern – Justizbeamter – notwendig. Streetworker Clemens stimmte dem im großen und ganzen zu und forderte die Politik auf, Mittel zur Verfügung zu stellen. Behrendes und Clemens waren sich einig dass straffällige Jungendliche im Zweifelsfalle auch in Verwahrung genommen werden müssten. Einerseits löse eine kurzfristige Verwahrung oft einen Bewusstseinsprozess aus, andererseits bestünde ja auch die Pflicht, die Gesellschaft zu schützen. Professor Pfeiffer zweifelte stark an dem Nutzen von Zwangsverwahrung, und wies auf die belegte Tatsache hin, dass die Rückfallquote zwangsinhaftierter Jugendlicher bei über 80 Prozent liegt. Pfeiffer setzte auf frühzeitige Betreuung und Förderung von Familien in schwierigen Verhältnissen, intensive Integration ausländischstämmiger Familien und  eine intelligente Ganztagsschule von der ersten bis zur letzten Klasse.

CDU-Politiker: "Härter durchgreifen."
Am umstrittensten waren die Vorschläge der, von der CDU NRW im Leitantrag "Jugend schützen. Gewalt bekämpfen. Härter durchgreifen." formulierten Thesen. CDU Abgeordneter Hollstein musste von den Praktikern, zu denen auch ein anwesender Strafverteidiger gehörte, herbe Kritik einstecken. Es ist ja auch paradox, dass die CDU zum einen die Mittel für Erziehungsberatung drastisch zusammenkürzt um dann in einem Leitantrag Zwangserziehungskurse für Eltern zu fordern (also an der Prävention spart zugunsten der Schadensbegrenzung).



Experten: "Hauptschule ist
Sammelbecken für Problemkids"

Auch waren sich alle bis auf Hollstein einig, dass die Situation an den Hauptschulen gewaltfördernd wirkt. Nicht etwa weil die Lehrer versagten, die seien oft sehr motiviert, sondern weil durch das deutsche dreigliedrige Schulsystem die Hauptschulen zum Sammelbecken von Kindern mit problematischen Lebensumständen geworden seien. Die vorhandene Stigmatisierung der Hauptschulen habe außerdem zur Folge , dass Kinder selbst mit einem guten Hauptschulabschluss so gut wie keine Chancen auf einen Ausbildungsplatz hätten. Auch hier sei die Politik aufgefordert eine positive Situation zu schaffen und das Schulsystem zu reformieren.

Polizeireporter: "Medien müssen Missstände aufzeigen"
Natürlich wurde auch die Rolle der Medien bei der gegenwärtigen Situation um jugendliche Gewalttäter diskutiert. Polizeireporter Tim Stinauer, Autor der Reportage "Die harten Kinder von Köln" stellte sich den kritischen Fragen Henzes zu Beförderung krimineller Taten durch Medienaufmerksamkeit. Stinauer betonte, dass die Medien die Pflicht haben, die Öffentlichkeit auf Missstände hinzuweisen und diese genau zu benennen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass im Regelfall eine Besserung einträte. Ein Ausnahmefall seien natürlich immer die Boulevardmedien, deren Aufmerksamkeit keinen aufklärenden oder positiven Effekt brächte.

Das nächstes Forum in der Christuskirche findet am 30. Mai um 20 Uhr statt.
Thema:
Patientenverfügungen: Wer bestimmt das Ende?
Geladene Gäste sind:
Nikolaus Schneider, Präses Ev.Kirche
Helga Kühn-Mengel, SPD (MdB)
S. Leutheusser-Schnarrenberger, FDP (MdB)
Prof. H.F. Kienzle, Krankenhaus Holweide

Text und Bild: Christina von Haugwitz für report-K, Kölns Internetzeitung