Große Unternehmen bauen Marktführung aus
 „Das ist ein Skandal“, waren sich ver.di Köln und zahlreiche Arbeitnehmervertreter gestern einig. Nach ver.di gebe es ein deutliches Plus im Umsatz zu verzeichnen (zwischen den Jahren 2000 und 2010 ein Gewinn von 80 Prozent). Während die Zahlen zwar insgesamt stagnierten, hätten aber insbesondere die führenden Unternehmen ihren Umsatz steigern können. Und dennoch würden Arbeitgeber dort immer mehr Vollzeitstellen abbauen. Das Argument der Arbeitgeberseite, die Personalkosten seien zu hoch, sei jedoch falsch, meint Ver.di. Die Gewerkschaft bezieht sich dabei auf die Deutsche Bundesbank, nach der der Personalaufwand in den letzten Jahren stetig gesunken sei (1997 um 14,7 Prozent; 2008 um 11,9 Prozent).

Zudem würden viele Unternehmen die Tarifverträge umgehen, auch wenn sie selbst für diejenigen, die nicht an ihn gebunden sind, als Orientierung gilt. Umgangen würden die Verträge, indem Unternehmen vorzugsweise Teilzeitkräfte, Minijobber oder Leiharbeiter einsetzen. Derzeit seien nur noch 43 Prozent aller Arbeitsplätze im Einzelhandel Vollzeitstellen – und diese seien nahezu nur noch in den Management-Bereich vorhanden. Nach Christa Nottebaum, Geschäftsführerin ver.di Köln, kommen derzeit auf 450.000 Vollzeitbeschäftigte, die nach gültigen Tarifvertrag vergütet werden, 250.000 Arbeiter, für die diese Bestimmungen nicht gelten – und die Tendenz sei steigend. Dieser Personalabbau sei ein „ganz schleichender Prozess“, fügte Sabine Meine, stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrates bei Kaufhof, hinzu. „Für die Leute, die gehen, rückt einfach keiner nach.“

Unternehmen mobbt Festangestellte in die Rente
Die Teilzeitbeschäftigung wirke sich nicht bloß auf die Betroffenen selbst negativ aus, so Conny Jallat, Angestellte bei real. In der Praxis benachteilige das auch die Festangestellten. So setzten beispielsweise die Arbeitgeber ab 20 Uhr, also dann wenn es für Festangestellte Zuschläge gäbe, vornehmlich Leiharbeiter etc. ein, für die gelten diese Zuschlagregelung nicht. „Allein dadurch hat man am Ende des Monats gut 100 Euro weniger auf dem Konto.“ Zur Situation der wenig verbliebenen Vollzeitkräften konnte auch Veronika W. (64) einiges berichten. „2009 bin ich darauf hingewiesen worden, dass ich zu alt und zu teuer bin“, erzählte sie. Aufgrund ihrer niedrigen Rente, habe sie einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch nicht zugestimmt. Danach sei sie systematisch von der Führungsetage „gemobbt“ worden, berichtete die 64-Jährige, beispielsweise wären ihr plötzlich Fehler ohne jeden Grund zugewiesen worden. Der psychische Druck sei enorm, gab sie zu.

Auszubildende werden kaum eingestellt
Auch die Zahl derer, die im Einzelhandel ausgebildet werden, sinke nach ver.di dramatisch. „Es werden immer weniger Azubis eingestellt. Stattdessen suchen die Unternehmen in der Einstellung von Aushilfen und Praktikanten eine Scheinlösung“, sagte Meine. Jürgen Runge, Mitglied im Betriebsrat von Karstadt, zufolge habe sich die Anzahl der Auszubildenden in den letzten fünf Jahren von 20 auf nunmehr fünf reduziert. Und diejenigen, die ausgebildet würden, erhielten danach kaum eine Chance, eine unbefristete Stelle anzutreten. „In der Regel erhalten sie danach eine auf ein Jahr befristete Stelle in Teilzeit“, so Runge.

Ver.di fordert 6,5 Prozent mehr Lohn

Für ver.di wird der Erfolg des Einzelhandels daher ausschließlich auf den Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen. Wenn es um eine gerechte Bezahlung gehe, so denke Nottebaum beispielsweise an Frankreich. „Da werden Leiharbeiter als flexibel angesehen und entsprechend bezahlt – auch mit Zuschlägen.“ Die von Arbeitgeberseite vorgeschlagenen 1,5 Prozent mehr Lohn (nach einer dreimonatigen Nullrunde) werde man nicht akzeptieren. Ver.di fordert 6,5 Prozent oder mindestens 130 Euro mehr Gehalt im Monat. Zudem soll die Ausbildungsvergütung um 65 Euro/Monat angehoben und eine tarifliche Regelung für Leiharbeit im Einzelhandel durchgesetzt werden – notfalls auch mit Streiks.

Dominic Röltgen für report-k.de | Kölns Internetzeitung