Chodorkowski, der als scharfer Kremlkritiker gilt, wurde in dem umstrittenen Prozess vorgeworfen, 218 Millionen Tonnen Öl im Wert von 27 Milliarden Dollar unterschlagen zu haben. Das genaue Strafmaß wird voraussichtlich erst gegen Ende der Woche verkündet. Der Unternehmer hatte die Vorwürfe gegen ihn stets als politisch motiviert zurückgewiesen. Chodorkowski und seinem mitangeklagten Geschäftspartner Platon Lebedew drohen nach der Verurteilung weitere sechs Jahre im Gefängnis. Seine derzeitige Haftstrafe nach dem ersten Gerichtsprozess aus dem Jahr 2003 dauert noch bis Oktober kommenden Jahres.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat das Urteil gegen den russischen Ex-Ölmagnat Michail Chodorkowski offen kritisiert und die Umstände des Verfahrens als "äußerst bedenklich" bezeichnet. "Ich bin über den erneuten Schuldspruch gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew sehr besorgt. Die Umstände des Verfahrens sind äußerst bedenklich und ein Rückschritt auf dem Weg zur Modernisierung des Landes", erklärte Westerwelle am Montag. "Es liegt im Interesse unserer russischen Partner, diese Sorgen ernst zu nehmen und konsequent für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte einzutreten."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) äußerte sich besorgt über die erneute Verurteilung des Kremlkritikers Michail Chodorkowski. "Wir erwarten infolge des Richterspruchs kurzfristig keine direkten Folgen für den bilateralen deutsch-russischen Handel. Langfristig befürchten wir jedoch, dass das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in den Investitionsstandort Russland beschädigt werden könnte", sagte DIHK-Experte Tobias Baumann den Zeitungen der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Dienstagausgabe). Er stellte künftige Investitionen in direkten Zusammenhang mit dem Rechtssystem in Russland: "Faire Verfahren in Streitfällen und eine unabhängige Justiz sind wichtige Faktoren für ein Engagement deutscher Firmen im Ausland", sagte Baumann.

Die Grünen-Abgeordneten Marieluise Beck sieht in dem Chodorkowski-Urteil auch ein Versagen der Europäischen Union. Als EU der 27 hätte sie sehr deutlich machen müssen, "dass es keine Partnerschaft gibt, so solange der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird", sagte Beck der Tageszeitung "Die Welt". Damit das gelinge, dürfe aber niemand ausscheren. "Kein Berlusconi, kein Sarkozy. Und auch das bilaterale Geschäft, das von Altkanzler Schröder eingefädelt wurde, hat die Stimme der EU geschwächt", kritisierte Beck. Beck war als Prozessbeobachterin vor Ort in Moskau. "In diesem Gerichtssaal herrschen autoritäre bis polizeistaatliche Verhältnisse", sagte Beck. "Die rechtsstaatlichen Prinzipien sind außer Kraft gesetzt." Der Westen wünsche sich ein "offenes Russland" als Partner und greife nach jedem Strohhalm. Einer dieser Strohhalme sei Präsident Medwedew. "Ich habe nicht den Eindruck, dass wir wirklich auf ihn setzen können", sagte Beck. "Der Mythos Medwedew zerrinnt."

[dts]