In gewisser Hinsicht beginnt die Ausstellung schon vor der Haustür: Direkt gegenüber des Wallraf-Richartz-Museums werden in der „Archäologischen Zone“ derzeit die Grundmauern einer Synagoge freigelegt, die Mitte des 15. Jahrhunderts zu einer christlichen Kirche umfunktioniert wurde. Darum, wie der christliche Glaube auf ein jüdisches Fundament aufbaute, geht es auch in der neuen Ausstellung im „Graphischen Kabinett“ des Wallraf-Richartz-Museums. Die Ausstellung zeigt, wie das jüdische Ritual der Beschneidung in christlich geprägten Darstellungen thematisiert wurde.


Die Beschneidung als Beginn des Leidensweges Christi
Die Ausstellung im Raum „Graphisches Kabinett“ in der zweiten Etage des Wallraf-Richartz-Museums zeigt rund 30 Druckgrafiken, darunter unter anderem Werke von Albrecht Dürer, Rembrandt und Hendrick Goltzius. Dürer stellte 1505 „Die Beschneidung Christi“ dar: Auch Jesus, Sohn einer jüdischen Mutter, wurde am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten. Die Details der Darstellung verraten viel über die christliche Sicht auf das jüdische Ritual. „Maria leidet die Schmerzen des Jesukindes sichtlich mit“, so Dr. Thomas Ketelsen, Leiter der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums. Man könne dies als Hinweis auf den kommenden schmerzvollen Kreuzigungstod Jesu sehen – Die Beschneidung als Beginn der Leidensgeschichte Jesu. Im Hintergrund von Dürers Grafik ist der Vorhang zu sehen, der den Thoraschrein, das „Allerheiligste“, in der Synagoge verhüllt. Der Vorhang ist geöffnet – Ein möglicher Hinweis auf den Übergang vom Alten zum Neuen Testament und dem Beginn eines neuen, von Jesus Christus gestifteten Glaubens, so Ketelsen.

Beschneidung in Religion, Philosophie und Psychologie
Neben den Grafiken sind große Papierbahnen aufgehängt, auf denen Texte zur Beschneidung stehen. Es sind Bibelzitate (etwa die Beschneidung Jesu, wie sie im Lukas Evangelium geschildert wird) und weitere geistliche Schriften, etwa vom Reformator Martin Luther. Die Bandbreite reicht von mittelalterlichen bis hin zu philosophischen Texten der Neuzeit. Am Ende der Ausstellung steht gar Sigmund Freud, der in der Beschneidung eine Form der Entmannung sah.

„Beitrag zur Erinnerungskultur“
Im Judentum war und ist die Beschneidung dagegen sichtbares Zeichen der Religionszugehörigkeit. Sie sei eine Erinnerung an die Zugehörigkeit zum Bund Gottes, so Sammlungsleiter Ketelsen. Da von Erinnerung, im besonderen dem „Gedächtnis der Stadt“, seit dem Einsturz des Stadtarchivs vermehrt die Rede sei, wolle die Graphische Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums etwas zur Erinnerungskultur in Köln beitragen. Ergebnis ist die Ausstellungsreihe „Der un/gewisse Blick“, in deren Rahmen auch „Das Gedächtnis, die Stadt und die Kunst: Die Beschneidung“ stattfindet. In vier weiteren Ausstellungen wird die Graphische Sammlung noch bis Anfang 2012 verschiedene Schwerpunkte setzen.

Infobox
„Das Gedächtnis, die Stadt und die Kunst: Die Beschneidung“
5. November 2010 bis 30. Januar 2011
Wallraf-Richartz-Museum (Raum: Graphisches Kabinett, 2. Obergeschoss)
Obenmarspforten
50667 Köln

Öffnungszeiten:
Dienstags bis Freitags 10:00 bis 18:00 Uhr
Donnerstags bis 22:00 Uhr (außer an Feiertagen)
Samstags, Sonntags, sowie an Feiertagen 11:00 – 18:00 Uhr
Montags geschlossen

Eintritt (Ständige Sammlung):
Erwachsene 9,50 €
Ermäßigt 7,50 €
Gruppe ab 20 Personen 8,50 € (pro Person)
Familienticket 19 € (2 Erwachsene und mindestens ein Kind)

Eintritt frei für Kölner Kinder bis 18 Jahre, sowie Schulklassen inkl. zwei Begleitpersonen. Außerdem für alle Kölnerinnen und Kölner an jedem 1. Donnerstag im Monat (außer Feiertag).

Alexandra Spürk für report-k.de/Kölns Internetzeitung