Laudator Wilhelm Genazino, Anna Katharina Hahn und Oberbürgermeister Roters

Anna Katharina Hahn beschrieb in bildreichen Sprache wie aus der Doktorandin in Hamburg und einem Urlaub in Griechenland, wo die gelben Plastiksonnenstühle in Reih und Gleid ausgerichtet waren, die Autorin wurde, die heute ausgezeichnet wurde. Als auf ihrem Laptop zwei Dateien waren, die eine, die Doktorarbeit eine Bibelübersetzung und die zweite Erzählungen und wie eine von beiden plötzlich mehr anschwoll. Doderer bezeichnete sie als "Heiligen Heimito", dem sie nicht nur nachgeeifert sei in Form einer "billigen Äfferei", sondern der sie in der Wahrnehmung ihrer künstlerischen Arbeit gestärkt habe. Laudator Wilhelm Genazino lobte die sprachliche Schärfe von Anna Katharina Hahn und ihr tiefes generationenübergreifendes Verstehen von existenziellen Gefühlen.

Joachim Kalka, der die Laudatio auf Heinrich Steinfest hielt, dem der Autor in seiner Danksagung eine exekate Beschreibung seiner Arbeitsweise attestierte, zog enge Beziehungslinien zwischen den Kriminalromanen von Heinrich Fest und der Arbeit von Heimito von Doderer. Beeindruckend seien vor allem die Abschweifungen von Steinfest zu den klaren Strukturen im Kriminalroman. Damit würde in Steinfest´s Werk eine "Überdungung der Genreform" einhergehen, die einzigartig sei. Dem bloß Dekorativen, die einer solchen Stilform inne sein könne, arbeite Steinfest aber auch durch Schärfe, Trockenheit und Bösartigkeit entgegen. Kalka verglich die literarischen Konstruktionen von Steinfest mit den Neffen von Donald "Tick, Trick und Track" und sprach Steinfest eine genuine Affinität zu Doderer aus. Steinfest bedankte sich bei der Jury, dass sie den Preis geteilt habe und schrieb ins Gästebuch der Stadt Köln: "Genau der Preis den ich mir gewünscht habe". Kleinen Geschenken liege ein "zauberischer Moment" inne, so Steinfest und erzählte von einem Weihnachtsfest vor 40 Jahren. Als sein reicher Vater ihm eine Märklin Eisenbahn schenkte und seine arme Mutter eine Packung Pelikan-Filzstifte. Der kleine Steinfest hatte nur Augen und Verwendung für die Pelikan Filzstifte und zeichnete, sehr zur Verwunderung des Vaters, bis er über seinen Zeichnungen einschlief. Ähnliches sei ihm passiert, als Löffler ihm das "Repertorium" geschenkt habe, in dem gezeigt wird was Heimito von Doderer mit Sprache und "wie" anrichten kann.

Die Preisverleihung wurde von Kompositionen von Hayden Chisholm begleitet. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert, der in diesem Jahr geteilt wurde.

Infos zum Heimito von Doderer Literaturpreis
Der Kölner Dr. Henner Löffler hat den Heimito von Doderer-Literaturpreis 1996 zur Erinnerung an einen der bedeutendsten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts anlässlich von dessen 100. Geburtstag gestiftet. Er soll ein hervorragendes Einzel- oder Gesamtwerk aus dem deutschen Sprachraum ehren, das sich durch hohe Sprachsensibilität und -originalität in der Tradition des österreichischen Autors auszeichnet. Haupt- und Förderpreis wurden zunächst jährlich, seit 2002 zweijährlich und seit 1998 in Köln verliehen.

Infos zu den Ausgezeichneten:
Anna Katharina Hahn
Anna Katharina Hahn wurde 1970 in Ruit geboren und lebt in Stuttgart. Sie debütierte im Jahr 2000 mit dem Erzählungsband „Sommerloch“ (Achilla Presse), der bereits die Themen vorgibt, die sie später weiterentwickelt. Das Buch zeigt, wie präzise sie Milieus, Einrichtungen und Verhaltensweisen beobachtet, wie sicher sie den Ton sehr verschiedener Verhältnisse und Individuen trifft. Die ganz verschiedenen Ich-Erzählerinnen und -Erzähler dieser „spöttischen bis bitterbösen Miniaturen aus dem deutschen Großstadtalltag“ (taz) verraten ahnungslos die Abgründe, die sie in sich haben und über denen sie schweben. Diese Kunst lässt an Edgar Allan Poe und William Thackeray denken.

Vier Jahre später erscheinen weitere Erzählungen bei Suhrkamp (Kavaliersdelikt), in denen der Blick der Erzählerin vielleicht nicht ganz so düster ist. Aber die kunstvoll arrangierte, verstörende und zugleich überaus realistische, plausible Welt der Anna Katharina Hahn mutiert auch durch komische und skurrile Momente oder einen – immer doppelbödigen – Humor nicht zu einer freundlichen. 2009 erscheint dann ihr erster Roman „Kürzere Tage“, ebenfalls bei Suhrkamp. Dramatisch beschreibt Hahn hier einige parallele, sich überschneidende Welten, die alle explodieren und keinen Protagonisten unbeschädigt zurücklassen. Wie sie „vom verrottenden, verwahnenden Mittelstand erzählt und vom Elend der Integration, von den verzweifelnden Träumen der Jungen und dem Verenden von Lebensläufen, wie zärtlich und böse und genau zugleich sie in die Hirne hineinsieht von Supermüttern, Missbrauchten und Vereinsamten, das ist schon atemberaubend!“ schreibt die ‚Literarische Welt’.

Heinrich Steinfest
Heinrich Steinfest wurde 1961 in Australien geboren. Er ist Österreicher und lebt in Stuttgart. Gerade eben hat er den elften Roman bei seinem Hausverlag Piper vorgelegt:
„Batmans Schönheit. Chengs letzter Fall“, an dessen Ende der Protagonist „begreift, dass er nicht der ist, der er zu sein meint.“

Seine Romane setzen sich in einer sehr prägnanten und oft skurrilen Sprache mit dem Bösen und seiner Genese auseinander. Nur auf den ersten Blick sind sie Kriminalromane. Auch dass in seinem vorletzten Roman „Gewitter über Pluto“ Außerirdische auftreten, macht diesen nicht zu Science Fiction. Steinfest ist ein Meister des ausgefallenen Plots, aber auch der Metapher und noch mehr der Anrede des Lesers. Diese kleidet sich sehr oft in amüsante Vergleiche und philosophische Ausführungen, die nur geringe Berührungspunkte mit dem Thema haben. Obwohl sie die Entwicklung der Handlung manchmal unterbrechen, sind sie unverzichtbar und üben einen ganz speziellen Reiz auf den Leser aus. Die erzählerische Dichte und atmosphärische Ummantelung sind dem Prosawerk Musils und noch mehr Doderers eher verwandt als dem Chandlers oder Christies, auch wenn Mord ein unverzichtbarer Bestandteil des Plots ist. Aber Johann Nestroy und Karl Kraus haben den Stil Steinfests ebenfalls beeinflusst. Er schreibt über die Welt, wie er sie sieht, und er erledigt diese Aufgabe spannend, skurril und witzig. Natürlich sind seine Protagonisten selten ‚normal’, aber anormal sind sie auch nicht. Dass ein Privatdetektiv einarmig ist und weder schießen noch kämpfen kann, dass ein des Geschäfts müder Pornodarsteller einen Laden für Handarbeitsbedarf eröffnet, oder dass jemand in seinem Pool  einem Haiangriff zum Opfer fällt, mag nicht direkt einleuchten, aber die Welt des Heinrich Steinfest ist in sich geschlossen und logisch.

[ag]