„Es gibt zu wenig zu spät zu unsystematisch“
Die Zahlen sind alarmierend: 22 Prozent aller deutschen Kinder und Jugendlicher zeigen psychische Auffälligkeiten. Sechs Prozent leiden an behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen. 60 Prozent der Kinder und Jugendliche in stationären Heimeinrichtungen sind behandlungsbedürftig. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen derzeit das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS), Störungen im sozialen und emotionalen Verhalten sowie Depression. Eine kleinere, aber erschreckend steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen weisen psychische Störungen aufgrund von Vernachlässigung auf. Im schlimmsten Falle könnten diese für das Kind tödlich enden.

„Es gibt zu wenig zu spät zu unsystematisch“, fasst Ulrike Lube, LVR-Dezernentin Klinikverbund und Heilpädagogische Hilfen, die Situation zusammen. Dabei mangelt es in den meisten Regionen nicht an stationären Angeboten wie etwa psychischen Kliniken. Stattdessen fehlen jedoch teilstationäre (beispielsweise Tageskliniken) und ambulante Angebote. Denn grundsätzlich sollte der stationäre Aufenthalt – getrennt von Familie und Freunden – der letzte Ausweg sein, betont Andrea Asch, stellvertretende Vorsitzende des Landesausschuss der Landschaftsversammlung Rheinland. Sie fordert daher zusammen mit ihren Kollegen einen deutlichen Ausbau an teilstationären und ambulanten Therapiemöglichkeiten. Dadurch könnten möglicherweise viele stationäre Aufenthalte vermieden werden, meint Asch.

Prävention und Kooperation müssen gestärkt werden
Darüber hinaus müsse grundsätzlich die präventive Arbeit verstärkt werden. Denn die Experten sind sich einig, dass psychische Erkrankungen besser geheilt werden können, je früher sie erkannt werden. Dazu sei eine engere Vernetzung der verschiedenen Institutionen – angefangen von der Familie über Kita, Schule, Beratungsstellen und der Jugendhilfe bis hin zu Kliniken dringend nötig. Andreas Asch schlägt hier vor, verbindliche Kooperationsstrukturen und Verantwortungsbereiche zu definieren. Um dies zu erreichen, soll in Essen und Kleve in den kommenden zwei Jahren ein Modellprojekt durchgeführt werden. Das hat sich zum Ziel gesetzt, konkrete Kriterien und Maßnahmen zu erforschen und auszuprobieren. So soll etwa ein Maßnahmenkatalog für Lehrer entwickelt werden, nach dem diese sich richten können, falls sie in ihrer Klasse einen Schüler mit psychischen Auffälligkeiten oder Störungen ausmachen.

Staat soll Erziehung mehr unterstützen
Die Zahl der psychisch auffälligen Kinder und Jugendliche ist über die Jahre hinweg nicht gestiegen. Gestiegen ist jedoch die Zahl derjenigen, die eine Behandlung brauchen, meint Johannes Hebebrand vom LVR-Klinikum Essen. Das läge vor allem daran, dass sich die familiäre Umgebung der Kinder und Jugendlichen geändert hätte. Psychische Erkrankungen könnten heute durch die Familie nicht mehr so einfach aufgefangen werden. Sinnvoll sei es daher, die Eltern in ihrem Erziehungsauftrag mehr zu unterstützen – etwa durch den Ausbau von Ganztagsschulen oder Elternkursen. Darüber hinaus müssten Kitas und Schulen ihre Schützlinge vermehrt auch erziehen. Dies sei jedoch nur in kleinere Gruppen und Klassen möglich. So sieht die EU-Richtlinie vor, dass sechs Erzieher pro Gruppe (25 Kinder) eingesetzt werden. In Nordrhein-Westfalen sind es gerade einmal zwei Erzieher pro Gruppe.

Cornelia Schlößer für report-k.de/ Kölns Internetzeitung
[Foto: Juttaschnece/ www.pixelio.de]