Zwei Tage lang verwandelt sich der Fühlinger See in ein riesiges mittelalterliches Heerlager, ein Mittelalter Markt mit mittelalterlichem Glücksspiel und eine Bühne der Attraktionen, Feuershows und Illusion. Mittelalterlich gewandte Menschen streifen über die Wiesen und Inseln, sprechen sich mit „Recke“ an, plaudern oder sitzen in der Natur vor ihren Zelten. Ein ganz besonderer Abend war der gestrige Samstag Abend. Tausende waren verzückt von der wirklich beeindruckenden Feuershow und dem anschließenden Konzert. Die Feuershow fasziniert neben lyrischen Pyroelementen, die sich aus der Bühne in den Raum hinaus bewegen, vor allem durch den visuellen, aber auch mutigen Umgang mit Feuer. Wenn die Artisten etwa das Feuer essen, oder den Arm lodernd in Flammen stehen haben, das ist mehr als beeindruckend.

Neben all den Attraktionen und vielen Marktständen mit ausgefallenen Produkten und dem Bühnenprogramm kann man gerade am Fühlinger See, inmitten der Natur noch etwas anderes erleben. Etwa wenn man sich in eine der mit Sonnensegeln bespannten Lounges setzt. Dort liegen Strohballen als Sitzunterlage. Nun denkt man als urbaner Lederstuhlweichsitzer, aua das piekt. Tut es nicht, ganz im Gegenteil man sitzt weich und bequem, weil sich der Strohballen der Körperform anpasst. Zudem riecht es nach Stroh. Aber gerade am Abend gibt es noch einen anderen Effekt. Man sitzt auch in der Nacht nicht kühl, denn das Stroh hält warm. Natürlich ist das Mittelalterfestival auch in der Neuzeit angekommen, aber man macht eben auch diese besonderen Erfahrungen. Dem Bretzelbäcker beim rollen des Teiges zusehen, mit Bocciakugeln zu versuchen ein Ei auf einem Holzklotz zu treffen, oder Kirschbier trinken. Dazu muss man auch ein wenig Zeit mitbringen, sich treiben lassen, genießen, um einzutauchen.

“Die Menschen verzaubern“
Mächtig beeindruckend ist der mitternächtliche Pestumzug. Mit Fackeln rohem Holzkreuz, Nonnen, Frauen die sich selbst geißeln, Mönchen und Priester und einer Pestkarre geht es einmal rund um die Insel. Das sind einfach tolle Bilder und lassen einen erahnen, was im Mittelalter los war, wenn die Pest ausgebrochen ist. Umrahmt wird die Szenerie von riesigen Lagerfeuern. Der Arrangeur des Ganzen ist Urban Bönninghaus, der mittlerweile seit 16 Jahren mit im Team ist und der ist vom Areal auf dem Fühlinger See auch ganz angetan: „Als ich das Festivalgelände vor fünf Jahren zum ersten Mal besichtigte, war ich sofort und spontan begeistert. Das Wasser so nah, dazu die Inseln, das ist hier eine ganz eigene Welt.“ Beim Drapieren und Aufstellen der Bühnen und Marktstände gibt es nur eine Schwierigkeit, dass sich die abschüssigen Uferböschungen. „Mir ist es wichtig die Menschen auf historische Art zu verzaubern“, so Urban Bönninghaus. Dabei gibt er zu bedenken, dass es sich nie um eine 100 prozentige authentische Mittelalterdarstellung handeln kann. So bekäme man keine Ausschankgenehmigung von den Behörden und auch die Bands würde niemand hören, wenn sie nicht verstärkt würden. Aber es soll schon an die Geschichte erinnert werden und nicht nur an die schönen Seiten, wie etwa mit dem Pestumzug.

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“Ein Leben ohne SMS“

Roger, Frau Holle, der kleine Schotte, Eldarwen und Saeros (Foto, v.l.n.r), hat das Mittelalter und das Festival in den Bann gezogen. Sie sind in Köln das erste Mal beim Heerlager dabei, übernachten also auch am Fühlinger See und kommen aus Voerde am Niederrhein. Das Kölner Festival haben sie zuvor schon zweimal besucht und Familienoberhaupt Roger, gewandet als Soldat vom Niederrhein ist, wie alle in der Familie vom Treiben begeistert: „Du bist hier mit 600 Menschen zusammen die die gleiche Macke haben. Und Du lebst völlig techniklos und ohne SMS. Du pflegst soziale Kontakte, sitzt zusammen plauderst, auch mit der Familie oder triffst alte Freunde aus anderen Lagern. Das ist einfach schön.“ Und die Familie bestätigt das Gesagte. Die Familie aus Voerde ist noch frisch dabei und hat sich in ihrem Equipment noch nicht, wie andere Teilnehmer des Heerlagers auf eine ganze bestimmte Zeit festgelegt. Man ordnet sich in die Zeit um 1250 ein, als Karl V am Niederrhein regierte. Da Karl V auch immer schottische Söldner in seinen Diensten hatte, gibt es auch die Figur des kleinen Schotten. Dessen Kilt ist in ein original schottischen Stoff, der sieben Meter lang und nur gewickelt ist. Die Kleider entwirft und schneidert Frau Holle. Vater Roger hat aber noch eine Leidenschaft, Tai Chi, aber mit einem richtigen Chiang Schwert. Für dieses braucht er sogar eine polizeiliche Genehmigung, etwa wenn er es mit nach Köln an den Fühlinger See nehmen will. Es gibt aber auch Bier aus dem Fass, dass ist allerdings in Stoff gehüllt und getrunken wird es aus Tonkrügen. Stilecht muss es schon sein.

Bezahlt wird übrigens mit Goldtalern. Die erhält man an den Kassen, Umtauschwert 1 Goldtaler = 1 Euro und wird wenn man die Welt des Mittelalters verlassen hat wieder in die Euros der hiesigen umgetauscht. Die Goldtaler gibt es seit den Jahren 2005 und sie werden jedes Jahr neu aufgelegt. Die Goldtaler behalten allerdings ihren Wert. Am heutigen Sonntag, 2.8.2009, ist Familientag mit folgendem Programm:
11.00 – 19.30 Uhr
Mittelalterlicher Markt und Heerlager der Freien Ritter und wilden Horden
11.30 Uhr
Feierliche Markteröffnung
14.30 Uhr
Nachmittags-Serenade einer Mittelalterband
15.00 Uhr
Bruchenballturnier der Heerlager und Marktleute
16.00 Uhr
Familien-Varieté aller Künstler
17.00 Uhr
Gewandungsprämierung auf der Gauklerbühne
18.00 Uhr
Abendkonzert einer Mittelalterband

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