Berlin | Der Deutsche Bundestag muss offenbar sein gesamtes Computer-Netzwerk neu aufbauen. Laut eines Berichts von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ kommen Spezialisten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu diesem Ergebnis. Nach einer Analyse der jüngsten Cyberattacke auf den Bundestag stehe für die IT-Experten fest, dass das Bundestags-Netz nicht mehr gegen den Angriff verteidigt werden könne und aufgegeben werden müsse.

Das BSI habe der Bundestagsverwaltung deshalb empfohlen, das Netzwerk neu aufzubauen. Bislang war unklar, ob dieser Schritt tatsächlich nötig ist, um die Attacke abzuwehren. Personen, die unmittelbar in das Geschehen eingebunden seien, haben den drei Medien zufolge erklärt, zum jetzigen Zeitpunkt könne nicht ausgeschlossen werden, dass aus dem Bundestags-Netzwerk noch immer unbemerkt Daten abfließen.

Weiter heißt es, dem Angreifer sei es gelungen, den so genannten Verzeichnisdienst des Bundestages zu übernehmen. In dem Dienst werden die Parlaments-Rechner, insgesamt mehr als 20.000 Stück, als Netzwerk organisiert. Der Angreifer habe somit Zugriff auf beliebige Systeme des Bundestages sowie auf alle Zugangsdaten der Fraktionen, Abgeordneten und Bundestags-Mitarbeiter.

Auch weil die Angreifer mittlerweile Administratoren-Rechte im Bundestag an sich gebracht haben sollen, soll nun das alte Netzwerk aufgegeben und ein neues Netzwerk aufgebaut werden. Die Geheimschutzstelle, der NSA-Untersuchungsausschuss und die Personalverwaltung des Bundestages sind von dem Angriff offenbar nicht betroffen, da sie besonders gesicherte Netzwerke nutzen, berichten SZ, NDR und WDR weiter. Derzeit versuchten sowohl Mitarbeiter des Bundestages, des BSI als auch Spezialisten einer süddeutschen IT-Firma, den Angriff zu analysieren und zu stoppen.

BSI-Präsident Hange werde die Mitglieder der Bundestags-Kommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken (IuK-Kommission) am Donnerstag über die Ergebnisse der BSI-Analyse unterrichten. Ein als geheim eingestufter BSI-Bericht, der die Erkenntnisse zum Cyberangriff zusammenfasse, sei den Abgeordneten bereits in der vergangenen Woche zugänglich gemacht worden. Eine Neuorganisation des weitverzweigten Bundestagsnetzwerkes könnte die Parlamentsverwaltung vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Experten gehen davon aus, dass eine komplette Neuorganisation des Bundestagsnetzes mehrere Wochen Zeit beanspruchen würde. Der Cyberangriff, hinter dem das BSI und das Bundesamt für Verfassungsschutz einen ausländischen Geheimdienst vermuten, war vor einem Monat entdeckt worden. Die Bundestagsverwaltung wollte sich zu dem jüngsten Vorgang nicht äußern.

Klingbeil kritisiert Informationspolitik nach Cyberangriff auf Bundestag

Der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss Digitale Agenda, Lars Klingbeil, hat die Informationspolitik der Bundestagsverwaltung hinsichtlich des Spähangriffs auf das Computernetzwerks des Parlaments kritisiert. „Das ist ein recht großer Angriff, der bisher nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Donnerstagsausgabe) mit Blick auf Berichte, dass sämtliche Bundestags-Computer ausgetauscht werden müssen. „Gegenüber den Abgeordneten gibt es kaum Kommunikation und große Verunsicherung. Keiner weiß hier so richtig, was los ist.“ Klingbeil fügte hinzu: „Wir haben das im Ausschuss zweimal auf die Tagesordnung gesetzt. Und es ist niemand von der Bundestagsverwaltung gekommen, der uns da einen Bericht gegeben hat. Das wurde von allen Fraktionen kritisiert.“ Klingbeil kritisierte im Übrigen die Linksfraktion, auf deren Betreiben hin das Bundesamt für Verfassungsschutz bisher nicht in die Suche nach den Urhebern einbezogen wurde. „Das muss von allen staatlichen Stellen aufgearbeitet werden, die dazu beitragen können, auch vom Verfassungsschutz“, erklärte er.

Dass die Linke sich weigere, hält der SPD-Netzexperte „in dieser punktuellen Situation für einen großen Fehler. Sie muss da ihren Widerstand aufgeben.“ Der Unions-Obmann in dem Gremium, Tankred Schipanski (CDU), sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“: „Das ist von Seiten der Bundestagsverwaltung eine merkwürdige Informationspolitik.“

Zwar liege in der Geheimschutzstelle des Bundestages ein Bericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor. Dieser dürfe aber nicht von allen Abgeordneten eingesehen werden.

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