Köln | aktualisiert | Die „Comunione e Liberazione“ und der „Rhein-Meeting e.V.“ veranstalten im Maternushaus an diesem Wochenende das dritte „Rhein-Meeting“ mit dem Titel „frei wozu?“. Pater Gianluca Carlin zeichnet für die unter der Schirmherrschaft des Erzbistum Kölns und des Europäischen Parlaments stehende Veranstaltung verantwortlich. Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom Gerhard Ludwig Kardinal Müller setzte den Impuls für das gut besuchte Meeting im Maternushaus heute Morgen. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

Mit Applaus wurde Gerhard Ludwig Kardinal Müller im Maternushaus empfangen, der von Papst Benedikt XVI. in die Kongregation für die Glaubenslehre berufen wurde und dieser seit 2012 vorsteht. 2014 wurde er von Papst Franziskus zum Kardinal ernannt. Müller war bis 2007 Bischof von Regensburg. Die Veranstalter sehen das „Rhein-Meeting“ als einen Austausch über Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg und gesellschaftlichen Dialog zum Thema Freiheit. An den beiden Tagen diskutieren auch der jüdische Professor, Joseph H.H. Weiler, und der afghanisch-deutsche Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karim. Mehr Informationen zum Programm: www.rhein-meeting.org

Seine Rede begann Kardinal Müller mit einem Zitat aus Johannes 8,32: „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Müller definierte den Freiheitsbegriff für die Kirche: „Die Wahrheit des Menschen vor Gott ist Grund seiner Freiheit in Gott, das Ziel der Freiheit jedoch ist die Liebe. Die Identität des Menschen besteht nicht in einem statischen und autarken Selbstbesitz; und sie vollzieht sich auch nicht als ein Kreisen um sich und in sich selbst. Person-Sein heißt: Sich-selbst-überschreiten auf eine andere Person hin. In der Liebe realisiert und vollendet sich das Person-Sein des Menschen: zuerst in der Relation zu den anderen Menschen und dann in allem und über allem in Gott, der in der Gemeinschaft von Vater und Sohn sein Wesen als Liebe offenbart.“

Für Müller stehen Wahrheit und Freiheit in einem wechselseitigen Bezug und es gebe für ihn keine doppelte Wahrheit, etwa von Theologie und Philosophie, da die Menschen in einer Welt lebten. Damit begründet er die Richtigkeit des Glaubens, dass Gott Schöpfer ist und diese Erkenntnis neben den empirisch-wissenschaftlichen Theorien von der Entstehung des Kosmos und des Lebens Bestand habe. So erklärt die Evolutionstheorie für Müller lediglich die äußere Gestalt des Menschen, aber nicht Vernunft und Willen des Menschen. Daraus folgert Müller, dass der Mensch nicht Objekt, sondern Subjekt sei. Der Natur spricht Müller die Fähigkeit ab, ein Geisteswesen hervorzubringen. Müller sagt: „Die mit Geist und Willen begabte Seele des Menschen ist im Unterschied zum Tier auf Wahrheit und Liebe ausgerichtet, so dass nur die personale Gemeinschaft mit Gott und nicht die Auflösung der geistigen Person in die biologisch-chemischen Prozesse der materiellen Natur ihr Ziel und Inhalt sein kann. Das meinen wir, wenn wir von der Unsterblichkeit der Seele und von der Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches in Christus reden.“

Lessing, Kant, Feuerbach, Marx und Engels und deren Aussage „Religion sei Opium fürs Volk“ sezierte Müller und bescheinigte der Religion die tiefste Quelle für Humanität zu sein. Daraus leitet er ab: „Nur mit Hilfe der Vernunft und der in ihr liegenden sittlichen Prinzipen der Freiheit und der Verantwortung für unser Heil und das Gemeinwohl vermögen wir auch die Errungenschaften der Naturwissenschaft und Technik zu humanisieren und für uns Menschen dienstbar zu machen. Es geht nicht nur um eine technische Beherrschung der möglichen destruktiven und sogar suizidalen Folgen der Entwicklungen der Medizin, der globalen Kommunikation, der Waffensysteme etc., sondern um die Orientierung des Gewissens am Guten und an der Wahrheit. In der Moral betritt die Vernunft das Reich der Freiheit.“

Die Kirche sieht er in der Rolle des Anwalts für den Menschen. Müller: „Für die Verhältnisbestimmung der Kirche zum nichtkonfessionellen, weltanschaulich neutralen Staat ist die Erklärung des II. Vatikanischen Konzils „Dignitatis humanae“ von größter Tragweite. Die Kirche weiß und verkündet, „dass der Grundsatz der religiösen Freiheit der Würde des Menschen und der Offenbarung Gottes entspricht.“ (DH 12). Die Ausübung der religiösen Freiheit ist ihrerseits an das natürliche Sittengesetz gebunden und hat die rechtmäßige öffentliche Ordnung und die legitime Autorität zu respektieren (vgl. DH 7). Menschenrechtsverletzungen sind ein Widerspruch zum natürlichen Sittengesetz und können darum niemals religiös, d.h. mit Berufung auf Gott begründet werden. Denn Gott ist der Urheber des Sittengesetzes und der Richter über unsere guten und bösen Handlungen. Die Grundlage einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft kann nur die Würde des Menschen sein. Diese ist ihm vom Schöpfer, nicht von Menschen verliehen. Sie liegt in seiner geistig-sittlichen Natur und macht das Geheimnis und die Einmaligkeit seiner Person aus.“

Religiöse Gemeinschaften hätten das Recht ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, dies läge nicht in der Zuständigkeit des Staates, sondern sei in den Menschrechten selbst begründet. Müller plädierte für die Präsenz von christlichen Symbolen im öffentlichen Raum, auch Schulen und Kindergärten. Andersgläubige müssten dies ertragen, wie auch ideologische Gruppen, die gerne mit Geld argumentierten, weil 80 Prozent der Kosten einer Schule der Staat trage. Der soziale Mensch könne nicht durch Gesetze erzwungen werden, ist sich Müller sicher. Der Mensch brauche um seiner selbst willen, das göttliche Gewissen, um das Böse zu verneinen und vor Selbstdestruktion zurückzuschrecken. Müller betonte, dass man mit allen Gruppen eine Dialog führen müsse, auch mit den Atheisten. Dabei sieht er die Kirche nicht in der Rolle eines Lobbyverbandes.

Es gebe keine Berufung auf den wahren Gott so Müller, um Terror oder Vergewaltigung zu rechtfertigen. Denen müsse man die Maske vom Gesicht reißen und würde darunter den Teufel entdecken.

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Report-K dokumentiert die Rede Müllers im Wortlaut (kursiv gesetzt):

Vortrag von Kardinal Müller am 27.02.2016

Rheinmeeting 2016 “frei! wozu?”

Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32)

Von Gerhard Kardinal Müller

Über der Aula der Freiburger Universität, wo ich studierte, steht in eingemeißelten Lettern das Wort des johanneischen Jesus geschrieben: Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32).

1.

Es ist dies ein herrliches Bekenntnis zur Tradition des abendländischen Geistes, aus dem im Mittelalter die Universitäten entstanden sind. Ausgesprochen ist damit das Programm der Einheit von Glauben und Vernunft, von Gotteserkenntnis und Weltwissen. Darin gründet und entfaltet sich die Identität des christlichen Menschen. Gott stiftet und garantiert die Würde und Größe des Menschen: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind: denn alle, die er im Voraus erkannt hat, hat er auch dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei.“ (Röm 8,29). Die Wahrheit des Menschen vor Gott ist Grund seiner Freiheit in Gott, das Ziel der Freiheit jedoch ist die Liebe. Die Identität des Menschen besteht nicht in einem statischen und autarken Selbstbesitz; und sie vollzieht sich auch nicht als ein Kreisen um sich und in sich selbst. Person-Sein heißt: Sich-selbst-überschreiten auf eine andere Person hin. In der Liebe realisiert und vollendet sich das Person-Sein des Menschen: zuerst in der Relation zu den anderen Menschen und dann in allem und über allem in Gott, der in der Gemeinschaft von Vater und Sohn sein Wesen als Liebe offenbart (vgl.1 Joh 4.8.16).

2.

Wahrheit und Freiheit in ihrem wechselseitigen Bezug konstituieren die geistig-sittliche Natur des Menschen und seinen Bezug zur Transzendenz. Gott ist in seiner Natur Geist und Wahrheit, Liebe und Freiheit. In seinem geistigen Wesen und im Vollzug seiner Freiheit nimmt der Mensch teil an Gottes Sein und ist in seiner Vernunft und Freiheit auf Gott, seinen Schöpfer hin-geordnet. Der Mensch -gerade auch unter dem Vorbehalt seiner Sterblichkeit und vernunftstolzen Widersetzlichkeit gegen seinen Schöpfer- findet sein tiefstes Streben im Wort des hl. Augustinus ideal ausgedrückt: „Und dennoch will er dich, Gott, loben, der Mensch, der selbst ein Teilchen deiner Schöpfung ist. Du treibst uns an, so dass wir mit Freuden dich loben, denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir.“ (Conf 1,1,1)

3.

In der Theologie und Philosophie, in den Wissenschaften der Geschichte und Gesellschaft, der Kultur und Natur strebt das Denken hinauf zur Erkenntnis der Wahrheit und findet seine Krönung in der Freiheit. Es gibt nicht zwei hermetisch gegeneinander abgeschlossene Welten, die der Mensch wahlweise bewohnt. Oder um es klassisch zu formulieren: Es gibt keine doppelte Wahrheit. Was in der Philosophie richtig ist, kann in der Theologie nicht falsch sein und umgekehrt. Die empirisch-wissenschaftlichen Theorien von der Entstehung des Kosmos und des Lebens können der theologisch richtig ausgelegten Glaubenserkenntnis nicht widersprechen, dass Gott, alles, was außer ihm existiert und wirkt, seiner Wahrheit und Freiheit gemäß aus dem Nichts ins Dasein verfügt hat.

4.

Die Alternative, vor die uns der materialistische Monismus (mit der These: alles ist Materie) stellen will, wonach der Mensch entweder das zufällige Produkt einer Evolution des Lebens ist oder sich dagegen als Person einem unmittelbaren Schöpfungsakt verdankt, ist eine nur scheinbare Kontradiktion. Die materiellen Ent-wicklungsbedingungen unserer Spezies und unserer individuellen Existenz erklären unsere leibliche Gestalt. Sie geben aber keine Antwort auf die Frage, was unsere Natur ist, die ohne ihre geistige Form mit Vernunft und Willen gar nicht konkret existiert. Der Geist erkennt sich selbst in den Akten des Denkens und Wollens und nur der Geist vermag auch Materie als das Andere seiner selbst zum Gegenstand empirischer Forschung zu machen. Es handelt sich nicht um ausschließende Antworten auf dieselbe Frage, sondern um zwei Antworten auf zwei verschiedene Fragen, die jedoch in der komplexen Vernunft des Menschen vereinbar sind.

5.

Dies hat Konsequenzen. Der Mensch ist nicht Objekt, sondern zuerst Subjekt von Philosophie, Wissenschaft und Politik. Sinn und Ziel werden ihm von niemanden seinesgleichen zugeschreiben oder abgesprochen, sondern sind in ihn hineingelegt von seinem Schöpfer. In ihrer Unbedingtheit bilden sie die Grundlage aller Ethik. Keineswegs ist der Mensch wie es eine pannaturalistische Mystik suggeriert, die den Nihilismus erträglich machen soll, in der Weise ein Teil der Welt, dass er den Sinn seiner geistigen Existenz in der Evolution der organischen und animalischen Lebewesen findet. Die blinde Natur vermag nicht ein Geistwesen aus sich hervorzubringen. Indem der Mensch den Wesensunterschied zum Tier leugnet, bestätigt er ihn. Im pantheistischen und naturalistischen Nihilismus wird die Frage nach der Wahrheit und Freiheit gegenstandslos, weil das Sein nur Schein, die Wahrheit nur Fiktion und die Freiheit nur Illusion ist. Aus dem Laufrad des Determinismus gibt es kein Entrinnen. Die Frage „was ist der Mensch?“ kann nicht beantwortet werden, indem ich meinen Leichnam als Dünger (Zerstreuung der Asche auf See, im Wald) in den materiellen Kreislauf des „Stirb und Werde“ der organischen Natur hineingebe und mich somit gleichsam noch nützlich mache. Die mit Geist und Willen begabte Seele des Menschen ist im Unterschied zum Tier auf Wahrheit und Liebe ausgerichtet, so dass nur die personale Gemeinschaft mit Gott und nicht die Auflösung der geistigen Person in die biologisch-chemischen Prozesse der materiellen Natur ihr Ziel und Inhalt sein kann. Das meinen wir, wenn wir von der Unsterblichkeit der Seele und von der Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches in Christus reden. Denn die Frage nach dem Unterschied von bloß organischen und geistigen Leben oder auch ihre Leugnung beweist die kategoriale und wesentliche Differenz zwischen unter-geistigem und geistig-personalen Leben. Den Sinn des Menschseins finden wir über uns und nicht unter uns.

6.

Es gibt seit dem 18. Jahrhundert eine eigenartige, im Blick auf die Freiheitsgeschichte systemwidrige Begrenzung der Wahrheitserkenntnis. Paradoxerweise verabsolutiert sich der metaphysische Agnostizismus, der vor aller Kenntnisnahme der Tatsachen eine geschichtliche Selbstoffenbarung Gottes als unmöglich ausschließt. Kann man aber gleichsam more geometrico, beweisen, dass die menschliche Vernunft prinzipiell incapax infiniti sei? Wie will man apriori ausschließen, dass auch eine endlich geschaffene Vernunft nicht von Gott zur Teilhabe an seiner Vernunft durch die Vermittlung seines Wortes, das Fleisch geworden ist, erhoben werden kann? Es ist das Wesen der Vernunft, auf die Wahrheit hin geordnet zu sein. Es gehört zur Dynamik der Freiheit, sich mit dem Guten in Liebe zu vereinen. In aller Freiheit bekennt die Kirche öffentlich Freiheit: „Die Gnade und Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (Joh 1,17f).

7.

Lessing hat mit der Ringparabel keineswegs unwiderlegbar bewiesen, dass es keine sichere Erkenntnis der Offenbarung geben könne und die Religionen darum nur von moralischem und humanitären, d.h. funktionalen Gebrauch sein könnten. Er hat lediglich seine agnostische Position illustriert, aber nicht rational schlüssig bewiesen. Auch Kant vermochte nicht die Möglichkeit der Metaphysik ein für allemal zu widerlegen. Er hatte nur die Nichtüberbrückbarkeit von Rationalismus und Empirismus auf den Begriff gebracht, die aber nur die auseinandergebrochenen Elemente einer ursprünglichen Synthese sind. Feuerbach hielt den Glauben an die Realität Gottes und die Geheimnisse des geoffenbarten Glaubens für eine Projektion, die den Menschen von seinem wahren Wesen, nämlich als ein höheres Tier, entfremdet. Er hat aber übersehen, dass die Ereignisse der geschichtlichen Offenbarung nicht idealistisch aus dem individuellen und kollektiven Bewusstsein der Gläubigen abgeleitet werden. Somit erweist sich seine These, dass Gott und die Inhalte des christlichen Glaubens nur Projektionen seien und die Theologie auf die Anthropologie reduziert werden könne, als eine petitio principii. Was bewiesen werden soll, klingt nur darum so schlüssig, weil es schon vorausgesetzt wird. Auguste Comtes Drei-Stadien-Gesetz ist nichts anderes als sein subjektives Schema, das er der Geistesgeschichte einprägen will, ohne die Spontaneität der philosophischen Erkenntnis zu berücksichtigen, die sich qualitativ von der Erkenntnis empirischer Gegenstände unterscheidet. Und ebenso wenig ist nach Marx und Lenin die Religion Opium des Volkes und für das Volk. Die Religion als Verehrung Gottes des Schöpfers und Vaters aller Menschen erweist sich vielmehr als die tiefste Quelle für die Humanität und der ausnahmslosen Achtung jedes Menschen. Im Nächsten erkenne ich meinen Bruder und meine Schwester, in deren Ängsten und Nöten mir Christus selbst begegnet. „Alles, was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25), sagt Jesu bei Jüngsten Gericht.

8.

In seiner geistig-sittlichen Natur weiß der Mensch sich auf die „Wahrheit der Wirklichkeit“ (Gaudium et spes 14) und auf das Gute an sich hin geordnet. Der Mensch gehört zwar aufgrund seiner Leiblichkeit zur körperlichen und organischen Welt. Doch in seiner Innerlichkeit, in der er sich selbst erkennt und geistig und willentlich bei sich ist, übersteigt er die Gesamtheit der Dinge, wie das II. Vatikanum in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes Art.14 klar analysiert. Mit Hilfe der instrumentalen Vernunft hat der Mensch durch die empirischen Wissenschaften und die Technologie die materielle Welt erforscht und sich in hohem Masse dienstbar gemacht. „Immer jedoch suchte und fand er eine tiefere Wahrheit. Die Vernunft ist nämlich nicht auf die bloßen Phänomene eingeengt, sondern vermag geistig-tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit wahrer Sicherheit zu erreichen, wenn sie auch infolge der Sünde zum Teil verdunkelt und geschwächt ist. Die zu erstrebende Vollendung der Vernunftnatur der menschlichen Person ist die Weisheit, die den Geist des Menschen sanft zur Suche und Liebe des Wahren und Guten hinzieht und den durch sie geleiteten Menschen vom sichtbaren zum unsichtbaren hinführt.“ (Gaudium et Spes 15). Nur mit Hilfe der Vernunft und der in ihr liegenden sittlichen Prinzipen der Freiheit und der Verantwortung für unser Heil und das Gemeinwohl vermögen wir auch die Errungenschaften der Naturwissenschaft und Technik zu humanisieren und für uns Menschen dienstbar zu machen. Es geht nicht nur um eine technische Beherrschung der möglichen destruktiven und sogar suizidalen Folgen der Entwicklungen der Medizin, der globalen Kommunikation, der Waffensysteme etc., sondern um die Orientierung des Gewissens am Guten und an der Wahrheit. In der Moral betritt die Vernunft das Reich der Freiheit.

9.

Die Freiheit als die sittliche Autonomie des Subjekts ist das große Thema der neuzeitlichen Philosophie. Ein Gegensatz zum theologischen Freiheitsbegriff entsteht aber erst, wenn Freiheit nur formal als Selbstbestimmung erfasst wird ohne Vermittlung mit dem Inhalt und Ziel des freien Willens. Gottes und des Menschen Freiheit sind nicht konkurrierende Größen. Sie begegnen sich in der Liebe, die Gott ist und zu uns hat, und in der er unsere Freiheit zu sich erhebt. Die Freiheit gehört zur geschöpflichen Natur des Menschen und stellt die Spitze seiner Gottebenbildlichkeit und damit seiner unveräußerlichen Würde dar. Die Freiheit wird durch das Gute, das Gott in seiner Natur ist und wodurch er alles Geschaffene qualifiziert hat (Gen 1,31) nicht eingeschränkt und begrenzt, sondern zu sich selbst gebracht. In der von der Gnade geleiteten Freiheit vereinigt sich der freie Wille mit Gott. Darin findet der Mensch seine Vollendung, wenn er mit dem Willen Gottes in Liebe kooperiert. Mit einer Freiheit ohne Liebe, einer Autonomie ohne transzendentale Verwiesenheit auf Gott musste die neuzeitliche Freiheitsgeschichte in Nihilismus und Menschenverachtung abstürzen.

10.

Das II. Vatikanum lobte die Hochschätzung der Freiheit in der Moderne. Aber die Freiheit wird verfehlt, wenn sie nur als Berechtigung aufgefasst wird, alles zu tun, was uns als Individuum oder Gesellschaft gefällt, nützt und Spaß macht oder der rücksichtslosen Selbstverwirklichung dient. Denn die Wahrheit ist nicht mein Eigentum. Sie führt mich über mein kleinbürgerliches Besitzdenken und spießiges Genußstreben hinaus in die Weite der Verantwortung für andere. Wer nur nach seinen eignen Interessen handelt, , oder zu sie zu seinem Recht und seiner Wahrheit erklärt, wird vielmehr ihr Knecht. „Wer sein eigner Lehrer sein will, ist der Schüler eines Toren, und wer nur sein eigener Herr sein will, wird zum Knecht seiner Leidenschaften“, sagt ein altes Sprichwort. Wie immer sie sich mit ihren Wahrheiten und Philosophien al dente rechtfertigen mögen, es bleibt objektiv wahr: Kriegstreiber, Menschenhändler, Drogendealer, Terroristen, Kinderschänder, Vergewaltiger, Diebe, Lügner, Ehebrecher, die Zyniker und Frivolen, die Tagediebe und Ausbeuter und alle die gegen den Dekalog handeln, können das Reich Gottes nicht erben, wie Paulus an die Galater schreibt (Gal 5,19). Die solches tun, sind nicht frei, wie sie sich einreden, von den Fesseln einer weltfremden Moral, sondern Sklaven ihres vernunftwidrigen Tuns. Ihnen fehlt die Wahrheit, die sie frei macht, ihrem Leben durch den Dienst an anderen, einen höheren Sinn zu geben. Dagegen ruft der Apostel uns zu: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen.“ (Gal 5,1). Gott gemäß leben, heißt, der Vernunft gemäß leben (vgl. Röm 12,1f). Was den Juden als göttliches Gesetz verkündet worden ist, wurde den Heiden von Gott in ihr Herz eingeschrieben, so dass sie in ihrem Gewissen zwischen Gut und Böse unterscheiden (Röm 2,14).

11.

Der christliche Glaube entfremdet uns nicht vom Leben und schon gar nicht von der modernen, auf den Prinzipien der Humanität aufbauenden Kultur. Aber er macht uns fähig, den Tendenzen zu ihrer Selbstdestruktion zu widerstehen. In seiner ersten Enzyklika „Redemptor hominis“ erklärte Johannes Paul II. den Zusammenhang der Mission der Kirche mit den Herausforderungen der Gegenwart. „Da also der Mensch der Weg der Kirche ist, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen, muss sich die Kirche unserer Zeit immer neu die ‚Situation‘ des Menschen bewusst machen. Sie muss seine Möglichkeiten kennen, die eine immer neue Richtung nehmen und so zu Tage treten; zugleich aber muss die Kirche die Bedrohungen kennen, die über dem Menschen hängen. Sie muss sich all dessen bewusst sein, was offenkundig dem Bemühen entgegensteht, das Leben des Menschen ‚immer humaner‘ zu gestalten, damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren Würde des Menschen entsprechen.“ (Art 14). In der Begegnung mit dem Gott der Gnade und Wahrheit geschieht die höchste Förderung des Menschen zur wahren Freiheit, die hinzielt auf Lebensgemeinschaft in Liebe. In der Begegnung mit Jesus Christus, der mit „Kraft und Geist“ das Reich Gottes verkündet und es durch sein Kreuz und seine Auferstehung verwirklicht hat, offenbart sich Gott als Ursprung und Ziel eines jeden Menschen. Das Geheimnis des Menschen klärt sich nur wahrhaft auf im Geheimnis des fleischgewordenen WORTES“ (GS 22). Der Glaube an den transzendenten Gott („Ehre sei Gott in der Höhe“) und die Verantwortung für die immanente Welt („Friede auf Erden“) gehören in Christus, dem Gott-Menschen auf innerlichste zusammen. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit im ewigen Leben für die Opfer von Unrecht und Gewalt verpflichtet die Christen zum Dienst an den Armen und zum Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit im Diesseits. Liebe zu Gott aus ganzem Herzen und die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst ist die Mitte christlicher Existenz. Der Gott der Wahrheit garantiert und fördert die Freiheit des Menschen, die sich in der Liebe vollendet. „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 31f.).

12.

Die Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus, die sich als Ziel der Geschichte ausgaben, haben uns e contrario erkennen lassen, dass der Gegensatz zur Wahrheit nicht die demütige Suche ist nach ihr, sondern die Lüge, mit welcher der Gott feindliche Mensch „die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten“ will (vgl. Röm 1,18). Die Suche nach der Wahrheit und die Liebe zu ihr verbinden Menschen auch unterschiedlicher Glaubensrichtung. Die Wahrheit über uns und in uns, die unseren Verstand erhellt und das Herz erwärmt, macht uns friedlich und freundlich im Umgang miteinander. Selbst wenn ich die Quelle des Lichts, das mich erleuchtet, nicht sehe, weil ich die Sonne im Rücken habe, ist der Schatten vor mir immer noch ein Zeugnis für die Existenz der Lichtquelle hinter mir. Wer als Christ Gott im Licht Christi als die Wahrheit erkannt hat, weiß sich mit denen verbunden, die sich nur umwenden müssen, um den Schatten hinter sich zu lassen, so dass sie beten können „Gott bei dir ist die Quelle des Lebens; in deinem Licht schauen wir das Licht“ (Ps 36,10). Die Zeugen der geoffenbarten Wahrheit und die Menschen, die nach ihr suchen in den Spuren, Bildern und Gleichnissen der Schöpfung sind miteinander verbunden und sie stehen denen gegenüber, die das „wahre Licht, das in die Welt gekommen ist“ (Joh 1,9) hassen. Wahrheit verbindet, Lüge trennt. Das christliche Wahrheitszeugnis ist demütig und einladend, weil der Christ weiß, dass er das Licht der Wahrheit von der unendlichen Vernunft Gottes empfangen hat. Der Ideologe dagegen pocht stolz und fanatisch auf seine Gedankenkonstellationen, die er nur dem kleinen Licht der endlichen Vernunft entnimmt. Die gezielte Lüge aber und die organisierte Desinformation in den totalitären Ideologien untergraben das notwendige Vertrauen in jeder Gemeinschaft. Die Lüge resultiert aus dem Hass, der die Triebfeder aller Kriege und Feindschaften ist. Und das Gegenteil von Freiheit ist Zwang, Unterdrückung und Hass. Die Freiheit jedoch wird niemals durch den Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes vermindert, sondern vielmehr ermöglicht. Das ist die Wahrheit, die frei macht. Die Freiheit, die ich suche, finde ich in meiner Offenheit auf das Gute. Die Befreiung von meiner Egozentrik erlebe ich in der Hingabe meiner Person an Gott und den Nächsten in der Liebe. In jeder Wahrheit, die ich erkenne, erkenne ich implizit Gott, und in jedem Guten, das ich tue, ziele ich die Güte Gottes an und werde von ihr angezogen.

13.

Freiheit setzt die innere und äußere Möglichkeit voraus, gemäß dem eigenen Gewissen zu leben und das Gute um seiner selbst willen zu tun und sich unsittlichen Befehlen oder Zumutungen zu widersetzen. Aufgrund unsrer Erfahrung zuerst mit einem obrigkeitsstaatlichen Denken in Preußen-Deutschland zur Zeit des Kulturkampfes, (wonach die Gesellschaft vom Staat her und nicht der Staat von der freien Initiative der Bürger her aufgebaut wird) und dann mit zwei menschenfeindlichen und gottlosen Diktaturen müssten wir skeptisch geworden sein gegenüber jeder Form der Omnipotenz des Staates und jeder von Menschen gemachten Institution. Der Staat ist relativ notwendig für das Gemeinwohl. Er darf jedoch nie in seiner legislativen, exekutiven und judikativen Gewalt Absolutheit in Bezug auf das geistige Leben und sittliche Gewissen der Bürger beanspruchen. Der demokratische Staat steht nicht wie früher einmal der absolute Fürst über dem Gewissen seiner Bürger und über dem natürlichen Sittengesetz (cujus regio, ejus religio). Die freiheitliche Demokratie unterscheidet sich von der ideologischen Volksdemokratie dadurch, dass sie auf der unbedingten Anerkennung der Menschenwürde und der Menschenrechte beruht, die dem Mehrheitswillen ein für allemal entzogen sind. Demokratie heißt nie einfachhin „die Mehrheit entscheidet“ auch über die Moral und das Gewissen. Demokratie heißt vielmehr: die parlamentarische Mehrheit und Minderheit respektieren gemeinsam die Unverfügbarkeit der Würde und der natürlichen Rechte und Pflichten des Menschen. Die positive Gesetzgebung ist relativ und niemals absolut, das wäre das Ende der rechtsstaatlichen Demokratie. Der Mensch ist wesentlich mehr als der Bürger. Der Staat ist für die Menschen und die Gesellschaft da und niemals umgekehrt. Der Staat hat die zeitlichen Belange seiner Bürger und der Gesellschaft zu regeln und die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte zu garantieren. Er darf sich nicht zum Instrument des absoluten Machtanspruchs einer Ideologie machen lassen. Hier lauern große Gefahren in der Gegenwart. Und umgekehrt kann sich eine einzelne gesellschaftliche Gruppe nicht des Staates bemächtigen, um durch die Möglichkeiten der schulischen Erziehung, der universitären Bildung und des medialen Information und Meinungsbildung eine dominante Ideologie zu begünstigen. Staatlich und ideologisch gelenktes Mainstreaming (Gleichschaltung) verrät nicht nur altes obrigkeitsstaatliches und totalitäres Denken, sondern widerspricht auch dem Menschenrecht auf sachgemäße Information und eigene Meinungsbildung. Es darf keine Diskriminierung und Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten geben, nur weil sich Menschen mit vollem Recht einer augenblicklich dominanten Ideologie in den Medien und den Parlamenten und der Rechtsprechung widersetzen (Abtreibung als Menschenrecht, die Umdefinition der Ehe als beliebige Sexualgemeinschaft u.a.).

14.

Da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, kann die Religionsfreiheit auch nie nur individuell ausgelegt werden, sondern hat notwendigerweise eine soziale Komponente. Zu den unveräußerlichen Menschenrechten gehört darum auch die Freiheit von Menschen, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzufügen mit einem gemeinsamen Bekenntnis zu ihren geistigen und moralischen Grundprinzipien, mit einem gemeinsamen öffentlichen Kult, einer von ihnen selbst verantworten Verfassung ihrer Gemeinschaft. Darum resultiert das Recht einer religiösen Gemeinschaft, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, sofern nur das natürliche Sittengesetz respektiert wird, nicht aus einem Zugeständnis des Staates, sondern ist in den Menschenrechten selbst begründet. Der Kirche, den religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften darf die gleichberechtigte Partizipation am öffentlichen Leben nicht verwehrt werden. Unser demokratischer Staat anerkennt sie zu Recht als Körperschaften öffentlichen Rechtes an und fördert auch mit Steuermitteln ihren Einsatz für das Gemeinwohl (z. B: Kindergarten, Schulen, Krankenhäuser, Jugendarbeit). Der moderne demokratische Staat, welcher der geistesgeschichtlichen und soziologischen Entwicklungen der Gegenwart entspricht und somit alle obrigkeitsstaatliche Bevormundung der Bürger abgelegt hat, kann weder die Kirche noch das verfasste Judentum, islamische und andere religiöse Gemeinschaften zur Staatsreligion aber auch nicht ersatzweise atheistische und politische Vereine zu Staatsideologie erheben und den Andersdenkenden lediglich den Status einer tolerierten Minderheit zuweisen. Das Axiom „Die Religion ist Privatsache“, widerspricht fundamental den individualen und sozialen Menschenrechten. Ein Staat ohne öffentliche Präsenz der religiösen Bekenntnisse seiner Bürger wäre nicht säkular-naturrechtlich legitimiert, sondern in eine Gesinnungsdiktatur pervertiert.

15.

Wir stehen im gegenwärtigen Strukturwandel Europas vor der Herausforderung, die verschiedenen Traditionen in der Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche bzw. den nichtchristlichen Religionsgemeinschaften neu zu bestimmen. Es ist immer das Kennzeichen ideologischer Enge, wenn historische Tatsachen in Abrede gestellt werden. Europa als geschichtliche und kulturelle Wirklichkeit besteht nicht ohne seine Wurzeln im christlichen Menschenbild. Ohne das Christentum wäre es nur noch ein geographischer Begriff. Eine Europäische Union, die nur auf Kapital und Wirtschaft setzen und das Christentum systematisch ausgrenzen würde, wäre dem Untergang geweiht. Wir müssen hingegen auf der Grundlage der gleichberechtigten Teilnahme aller Bürger ein konstruktives Verhältnis des Staates zu den religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften finden. Die Säkularität des Staates, d.h. sein naturrechtliche Begründung wie sie der katholischen Tradition entspricht, bedarf einer positiven Neudefinition, will die Gesellschaft sich nicht der intellektuellen, moralischen, humanitären und karitativen Ressourcen berauben, die aus der religiösen Anlage des Menschen und aus den historischen Religionen stammen. Denn die moralischen Prinzipien und das solidarische Verhalten der Bürger können kaum durch staatliche Gesetze mit den entsprechenden Sanktionen legalistisch erzwungen werden, wenn das Gewissen der Menschen nicht moralphilosophisch („der kategorische Imperativ“) und religiös („Ich bin der Herr, dein Gott, Du sollst…“) so geformt ist, das es das sittliche Grundgesetz anerkennt: das Gute ist zu tun um seiner selbst willen und das Böse ist bedingungslos zu meiden.

17.

Im Zusammenhang unseres Themas ist noch kurz auf die Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ einzugehen. Das Konzil wendet sich ausdrücklich an alle Menschen, auch an die Atheisten, um jedem Menschen guten Willens einen aufrichtigen Dialog anzubieten über die großen Themen von Frieden und Krieg, der mit den heutigen Waffen die ganze Menschheit vernichten kann, über die ungeheuren Möglichkeiten der Wissenschaft und Technik, um der Menschheitsfamilie eine Zukunft in Würde zu ermöglichen. Und niemand darf wegschauen, wenn die Zahl der Hungernden, entrechteten und versklavten Menschen wächst, das Drama der Flüchtlinge ins europäische Haus vordringt und die Globalisierung der Chancen und Risiken zu größten Herausforderung für die eine Welt geworden ist. Die Kirche ist in der Welt von heute keine Lobby, die nur für die Interessen der eigenen gesellschaftlichen Gruppe unterwegs ist. Alles, was in Gaudium et spes ausgeführt wird über die Würde der menschlichen Person, die menschliche Gemeinschaft und über den letzten Sinn des menschlichen Schaffens, „bildet das Fundament für die Beziehung zwischen Kirche und Welt wie auch die Grundlage ihres gegenseitigen Dialogs. “ (GS 40). Sie bietet nicht nur den Dialog, sondern auch die Mitarbeit an „zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft an“ (GS 3), die der hohen und göttlichen Berufung des Menschen entspricht. Und nun greifen die Konzilsväter den hermeneutischen Verdacht gegen die Kirche auf, der im Herzen des antiklerikalen Furors bohrt und seine verführerische Wirkung auf die Massen bis heute nicht verfehlt: „Dabei bestimmt die Kirche kein irdischer Machtwille, sondern nur dies eine: unter der Führung des Geistes, des Trösters, das Werk Christi selbst weiterzuführen, der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen:“ (GS 3).

18.

Für die Verhältnisbestimmung der Kirche zum nichtkonfessionellen, weltanschaulich neutralen Staat ist die Erklärung des II. Vatikanischen Konzils „Dignitatis humanae“ von größter Tragweite. Die Kirche weiß und verkündet, „dass der Grundsatz der religiösen Freiheit der Würde des Menschen und der Offenbarung Gottes entspricht.“ (DH 12). Die Ausübung der religiösen Freiheit ist ihrerseits an das natürliche Sittengesetz gebunden und hat die rechtmäßige öffentliche Ordnung und die legitime Autorität zu respektieren (vgl. DH 7). Menschenrechtsverletzungen sind ein Widerspruch zum natürlichen Sittengesetz und können darum niemals religiös, d.h. mit Berufung auf Gott begründet werden. Denn Gott ist der Urheber des Sittengesetzes und der Richter über unsere guten und bösen Handlungen. Die Grundlage einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft kann nur die Würde des Menschen sein. Diese ist ihm vom Schöpfer, nicht von Menschen verliehen. Sie liegt in seiner geistig-sittlichen Natur und macht das Geheimnis und die Einmaligkeit seiner Person aus. Nicht das Bekenntnis zur Wahrheit Gottes in Jesus Christus und zur natürlichen Wahrheitsfähigkeit des Menschen stellt die Freiheit der Person in Frage. Der Relativierung der Wahrheit bedeutet die größte Bedrohung der Freiheit. Doch nur die Wahrheit kann uns frei machen. „Denn die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21).

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Autor: ag
Foto: Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan in Köln